Die Schweiz hält die Zahlungen an die UNRWA zurück, bis Resultate einer Untersuchung vorliegen. Nun trat der UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini vor die Aussenpolitische Kommission des Nationalrats. Im Interview erklärt er, warum er heute wieder zuversichtlicher ist, und spricht von einer menschengemachten Hungersnot.
SRF News: Herr Lazzarini, der Nationalrat wollte die Gelder für die UNRWA ganz streichen. Wie war die Stimmung gegenüber der UNRWA?
Philippe Lazzarini: Es wurden viele Fragen gestellt über die UNRWA, ihre Arbeit und ihre Bedeutung. Es gab auch Fragen zu den Vorwürfen, wonach zwölf Mitarbeiter an den Massakern vom 7. Oktober beteiligt gewesen sein sollen. Ich habe die Kommissionsmitglieder über unsere Untersuchungskommission informiert, aber auch über die externe Untersuchung durch die frühere französische Aussenministerin Catherine Colonna.
Ich bin zuversichtlicher, weil viele Länder die Zahlungen an die UNRWA wieder aufgenommen haben.
Sie prüft auch, wie die UNRWA ihre Kontrollmechanismen verbessern kann, damit so etwas nicht mehr passieren kann. Vor allem geht es aber auch darum, den Geldgebern zeigen zu können, dass die UNRWA Fragen zu ihrer Neutralität sehr ernst nimmt.
Sind Sie nach der Anhörung zuversichtlicher, dass die derzeit von der Schweiz zurückgehaltenen Zahlungen an die UNRWA bald freigegeben werden?
Ich bin zuversichtlicher, weil viele Länder die Zahlungen an die UNRWA wieder aufgenommen haben. Gestern hat Deutschland eine Zahlung von 40 Millionen bewilligt, alle skandinavischen Länder zahlen wieder und auch Kanada und Australien. Noch heute fliege ich nach Japan und hoffe, dass Japan das nächste Land sein wird, das Gelder wieder freigibt. Ich hoffe, dass die Schweiz der europäischen Gemeinschaft und den anderen Mitgliedsländern folgen wird.
Gestern hat der UNO-Sicherheitsrat eine Waffenruhe im Gazastreifen verlangt. Sind Sie zuversichtlich, dass diese bald umgesetzt wird?
Es ist eine sehr positive Entwicklung, dass der Sicherheitsrat sich endlich über die Bedeutung einer sofortigen Waffenruhe und der Freilassung der Geiseln verständigt hat. Und über die Wichtigkeit, die humanitäre Hilfe für die Menschen im Gazastreifen zu verstärken.
Es ist unbegreiflich, dass innerhalb von vier bis fünf Monaten Menschen in einer Region Hunger leiden, in der es zuvor nie eine Hungersnot gab.
Ob die Waffenruhe umgesetzt wird, werden wir in den nächsten Tagen sehen. Wir schulden es der Bevölkerung im Gazastreifen. Sie ist heute einer Hungersnot ausgesetzt. Für über die Hälfte der Bevölkerung ist die Ernährungslage katastrophal. Wir haben in den letzten Wochen gesehen, dass erstmals Kinder wegen Wassermangels und Hunger gestorben sind.
Trotz dieser schwierigen humanitären Lage hat Israel gestern angekündigt, die Zusammenarbeit mit der UNRWA im Norden des Gazastreifens beenden zu wollen. Was sind die Folgen dieser Ankündigung?
Die Folge ist schlicht und einfach, dass jenen Menschen Hilfe verweigert wird, die in grosser Gefahr sind. Wir wollten in diesen Tagen Hilfskonvois losschicken. Diese wurden aber zurückgewiesen. Ich habe oft gesagt, dass es sich um eine menschengemachte Hungersnot handelt. Es ist unbegreiflich, dass innerhalb von vier bis fünf Monaten Menschen in einer Region Hunger leiden, in der es zuvor nie eine Hungersnot gab. Für mich ist dieser Entscheid völlig unverständlich.
Dass die Schweiz die Zahlungen weiter zurückhält, bis am 20. April die Resultate der Untersuchung präsentiert werden, trifft das die UNRWA im schlimmsten Zeitpunkt?
Nein, der schlimmste Moment wäre ein Entscheid, dass die Schweiz ihre finanzielle Unterstützung an die UNRWA gar nicht mehr weiterführen würde. Ich hoffe, dass die Schweiz weiterhin jener Partner ist, der sie bis jetzt war. Nicht nur was die finanzielle Unterstützung angeht, sondern die strategische, die uns hilft, gewisse unserer Dienste zu verbessern.
Das Gespräch führte Andreas Stüdli.