Ein Selbstmordanschlag in Tunis hat letzte Woche alte Erinnerungen wachgerufen, denn es gab mehrere Verletzte. Nach dem politischen Umbruch im Jahr 2011 waren dutzende Menschen bei mehreren Anschlägen getötet worden. Nun hat Tunesiens Präsident Beji Caid Essebsi den Ausnahmezustand im Land verlängert. Der Ausnahmezustand sei im Interesse der Regierung, sagt SRF-Maghreb-Spezialist und Frankreich-Korrespondent Daniel Voll.
SRF News: Wie begründet Präsident Essebsi diese Verlängerung des Ausnahmezustandes?
Daniel Voll: Er sagt, man brauche die Notstandsmassnahmen zur Erhaltung der Sicherheit. Es ist eine reine Routineangelegenheit. Der Ausnahmezustand gilt seit drei Jahren. Er wird regelmässig verlängert, da eine solche Massnahme nicht unbefristet erlassen werden kann.
Der Ausnahmezustand gibt der Polizei Sonderrechte.
Die aktuelle Verlängerung läuft am 6. Dezember ab und es würde mich sehr wundern, wenn die Massnahme nicht nochmals verlängert würde.
Der Anschlag in Tunis von letzter Woche wurde von einer 30-jährigen Frau verübt. Eine Verbindung zu einer Terrorgruppe konnten die Behörden bislang nicht herstellen. Was weiss man inzwischen mehr darüber?
Man weiss weiterhin relativ wenig, vor allem über den Hintergrund der Frau. Offenbar hat die Polizei zwei Personen aus dem Umfeld der Attentäterin verhaftet. Es gibt Gerüchte über Beziehungen dieser Leute zu islamistischen Kreisen. Alles andere ist Spekulation.
Warum schätzt die tunesische Führung die Lage dennoch als unsicher ein?
Es gibt schon Gründe für diese Einschätzung. Tunesien hat Grenzgebiete zu Libyen und Algerien, die schwierig zu bewachen sind. Sie werden militärisch zwar stark kontrolliert, aber dort kommt es immer wieder zu Schiessereien. Tunesier, die aus Syrien zurückgekommen sind, sind ein weiteres Problem.
Der Präsident liefert sich einen offenen Machtkampf mit dem Premierminister.
Und die tunesische Führung hat offenbar auch ein Interesse an diesem Ausnahmezustand. Dieser gibt der Polizei nämlich Sonderrechte. Sie kann einfacher verdächtige Personen verhaften und verhören. Immer wieder hört man auch Klagen über Misshandlungen in Gefängnissen.
Tunesien galt lange als Vorbild in Sachen Demokratie. Warum gelingt es Präsident Essebsi nicht, für Stabilität zu sorgen?
Der Präsident ist ein Teil des Problems. Er hat seinen Sohn als Chef seiner Partei installiert. Diese Partei hat sich seit den Wahlen von 2014 mehrfach gespalten, der Sohn von Präsident Essebsi spielt dabei eine wichtige Rolle. Der Präsident liefert sich zudem einen offenen Machtkampf mit Premierminister Shahid, der es eben mit dem Präsidentensohn nicht kann. Das sind sehr viele persönliche Ambitionen und Intrigenspiele, vor allem mit Blick auf die Präsidentenwahl Ende nächsten Jahres.
Das Gespräch führte Rapaël Günther.