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Zum Zustand der europäischen Justiz
Aus Rendez-vous vom 05.10.2022. Bild: KEYSTONE/DPA/Axel Heimken
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Untersuchung des Europarats Wie gut funktioniert die Justiz – und wie unabhängig ist sie?

Ohne funktionierendes Rechtswesen keine Demokratie. Der Europarat in Strassburg, die für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zuständige Organisation, hat die Justiz in seinen Mitgliedsländern untersucht.

Zwei Jahre investierte die zuständige Kommission des Europarates in die Untersuchung der Justizsysteme in 44 Mitgliedsländern, darunter auch die Schweiz. Es gibt aber weder Noten noch eine Rangliste. Das dürfte die Medien und die Öffentlichkeit enttäuschen. Trotzdem sind zahlreiche Ergebnisse durchaus interessant.

Etwa, dass das Justizwesen, so zentral seine Bedeutung ist, relativ billig ist: Es kostet durchschnittlich nur gerade 79 Euro pro Kopf der Bevölkerung – in Hochlohnländern allerdings deutlich mehr. Die Länder geben weniger als ein Prozent ihres Bruttoinlandprodukts für Gerichte und Staatsanwaltschaften aus. Pro 100'000 Einwohner gibt es durchschnittlich 22 Richter, hingegen 172 Anwälte – in südeuropäischen Ländern ist die Anwaltsdichte besonders hoch.

Grosse Lohnschere im Justizwesen

Der Bericht zeigt zudem, wie unterschiedlich Richter und Staatsanwältinnen entlöhnt werden. In einzelnen europäischen Staaten liegt das Einsteigergehalt unter 12'000 Euro. Erst auf dem Höhepunkt der Karriere kann es bis zu 330'000 Euro erreichen. Staranwälte verdienen erheblich mehr.

Eine Figur der blinden Justitia ist an der Fassade des Kriminalgerichts Moabit in Berlin zu sehen
Legende: Wie professionell und wie unabhängig ist die Justiz? Der Europarat hat das bei seinen Mitgliedsländern untersucht – mit zum Teil überraschenden Ergebnissen. Keystone/DPA/Sonja Wurtscheid

Höhere Löhne werden nicht unbedingt dort bezahlt, wo man es vermuten würde, nämlich in wohlhabenden Ländern. Vielmehr dort, wo die Gefahr als gross erachtet wird, dass Richterinnen und Richter sich bestechen lassen, wenn die Saläre tief sind.

Richterberuf wird zum Frauenamt

Überraschend dürfte sein: Der Richterberuf wurde binnen weniger Jahre zum Frauenamt. Bereits 56 Prozent beträgt der Anteil der Richterinnen, ähnlich hoch liegt er bei den Staatsanwältinnen. Einzig in der obersten Chefetage sieht es noch anders aus: Es gibt nur 38 Prozent Gerichtspräsidentinnen und noch etwas weniger Generalstaatsanwältinnen. Immerhin: Auch hier ist die Tendenz deutlich steigend.

Enorm sind die Unterschiede punkto Digitalisierung: Länder wie Estland oder Lettland sind weit voraus, Grossbritannien und andere, auch die Schweiz, hinken hinterher. Das dürfte einen negativen Einfluss auf die Effizienz der Gerichte haben.

Mühlen der Justiz mahlen langsam

Generell lässt sich sagen: Die Justiz funktioniert gemächlich. Am längsten dauert es bei Administrativ- oder Zivilverfahren, wo bis zu letztinstanzlichen Urteilen fast drei Jahre verstreichen; bei Strafverfahren geht es etwas schneller. In vielen Ländern sind von Jahr zu Jahr mehr Fälle hängig. Deshalb bemängelt der Europarat, die Effizienz lasse zu wünschen übrig. Ebenso die Kommunikation der Gerichte mit ihren Kundinnen und Kunden und mit der Öffentlichkeit.

Den grössten Nutzen der aufwändigen Untersuchung sieht man in Strassburg darin, Hinweise für Verbesserungen zu liefern und die Mitgliedsländer des Europarates zu solchen zu ermuntern.

Rendez-vous, 05.10.2022, 12:30 Uhr

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