Vor fast einer Woche wurde das nordafrikanische Land Libyen von schweren Überschwemmungen heimgesucht. Tausende Menschen wurden dabei getötet. Vermutet werden noch mehr Opfer.
Nun geht die Angst vor Cholera um. Die hochansteckende Magen-Darm-Krankheit folgt oft auf Naturkatastrophen wie diese und wird vor allem durch verschmutztes Trinkwasser verursacht. Wie ist die Situation vor Ort? Die Vize-Chefin von Unicef Libyen, Marie-Consolée Mukangendo, ordnet ein.
SRF News: Wie sieht die Lage in Libyen aus?
Marie-Consolée Mukangendo: Die Lage vor Ort ist kritisch. Der Sturm «Daniel» ist über den östlichen Teil Libyens gefegt und hat den grössten Teil der Region getroffen, in der etwa 664'000 Menschen leben, davon 283'000 Kinder. Es gibt über 6000 bestätigte Todesopfer und weitere Vermisste. Unser Team vor Ort hat vor kurzem bestätigt, dass die meisten Schulen, die überflutet wurden, völlig zerstört sind. Zudem werden immer mehr Kinder als getrennt und unbegleitet gemeldet.
Wie ist die Situation bezüglich Trinkwasser?
Vor ein paar Minuten wurde ich über akute Fälle von Durchfallerkrankungen informiert, es handelt sich um etwa 60 Fälle. Daher wird die Frage der Wasserinfrastruktur und des Trinkwassers jetzt wirklich zu einem Hauptanliegen. Wir arbeiten mit dem Nationalen Zentrum für Seuchenkontrolle zusammen, um vor dem Konsum von Leitungswasser zu warnen, da in der überschwemmten Region offensichtlich die Gefahr einer Grundwasserkontamination durch zahlreiche private Bohrlöcher besteht.
Was sind derzeit die grössten Herausforderungen für Unicef?
Die grösste Herausforderung besteht derzeit darin, die unbegleiteten Kinder zu versorgen und darüber hinaus psychosozial zu unterstützen. Das zweitgrösste Problem ist die Verunreinigung des Wassers und die dadurch übertragenen Krankheiten. Wir müssen also in der Lage sein, diese Herausforderungen gemeinsam zu bewältigen.
Es dauerte mehrere Tage, bis die internationale Hilfe Libyen erreicht hat. Ist es herausfordernd, Zugang zu den betroffenen Gebieten zu erhalten?
Im Moment ist der Zugang zu den betroffenen Gebieten grundsätzlich kein Problem. Wir haben eine sehr gute Zusammenarbeit mit der Regierung und arbeiten vor allem mit ihren Notfallteams zusammen. Zugangsprobleme gibt es allerdings bei den überschwemmten Gebieten, die sehr schwer zu erreichen sind. Seit gestern ist es aber unserem Team gelungen, dort vorzudringen und Soforthilfe zu leisten.
Haben Sie so etwas schon einmal erlebt?
Einige Bilder, die uns heute erreicht haben, sind ziemlich erschreckend und dramatisch. Das Wasser erreichte bei einigen Gebäuden bereits die dritte Etage. Ich bin seit über 20 Jahren bei Unicef – ich kann also wirklich aus Erfahrung sprechen. Ich hatte mit Überschwemmungen in Mosambik und anderen Notsituationen auf der ganzen Welt zu tun. Aber das hier ist für mich bei weitem das Schlimmste, das ich je erlebt habe.
Das Gespräch führte Fabian Rymann.