Das Aluminiumboot tuckert langsam auf dem braungrauen Wasser des East-Alligator-Flusses. Hilton Garnarradj, ein schüchterner junger Aborigine mit zerknittertem Hemd und wildem Haar, erzählt.
Seine Zuhörer sind 20 Teenager auf Schulreise aus dem südaustralischen Adelaide. Sie vergessen ihre Smartphones, als Hilton von den Essgewohnheiten der Flussbewohner erzählt.
Jahrtausendealte Kultur
«Das Salzwasserkrokodil frisst seine Opfer nicht sofort. Es lagert sie erst ein paar Tage unter Wasser – bis die Leiche so richtig verrottet ist», sagt Hilton. Erst dann verspeise das Krokodil das Opfer. Einige der Jugendlichen kämpfen sichtlich gegen den Brechreiz.
Hier, im isolierten Osten des australischen Nordterritoriums, zwischen dem Kakadu Nationalpark und dem Arnhemland, leben nicht nur Salzwasserkrokodile, sondern auch Aborigines. Und das seit mindestens 60'000 Jahren.
Die Ureinwohner haben grossen Respekt vor den lebenden Dinosauriern – zu Recht. Salzwasserkrokodile, die trotz ihres Namens vor allem im Süsswasser leben, sind die einzigen Tiere Australiens, die auch den Menschen auf dem Speisezettel haben.
Touristen wollen von Aborigines lernen
Hilton erklärt die Flurnamen dieser Landschaft, seiner Heimat. Jeder Felsvorsprung hat eine Bedeutung, jede Pflanze und jedes Tier werden genutzt. Der junge Mann und seine Kollegen von der Firma Guluyambi sind Teil eines Trends in der australischen Reiseindustrie: Indigener Tourismus.
Das Erleben der Ur-Kultur Australiens ist populärer denn je, nicht nur unter Australiern. Auch mehr als 900'000 der neun Millionen ausländischen Touristen, die letztes Jahr nach Australien kamen, wollten Kontakt mit Aborigines und buchten eine Tour oder besuchten eine Galerie.
Eine Chance für benachteiligte Ureinwohner
Für viele Aborigines ist die Arbeit im Tourismus die einzige Chance für eine bezahlte Tätigkeit. Tourismus ist für die indigenen Australier aber auch aus einem anderen Grunde sehr wichtig.
«Überlebenswichtig», sagt der Stammesälteste Robert Namarnilk. «Es ist meine Aufgabe, das Wissen der Urahnen an die nächste Generation weiterzugeben, bevor ich sterbe.»
Junge Aborigines, die Touristen herumführen wollen, müssen erst die jahrtausendealten Traditionen und Mythen lernen, bevor sie von ihnen erzählen können. So fänden sie zu ihren Wurzeln zurück. Sie entwickelten Stolz auf ihre Kultur, ihre Vergangenheit, ihre Herkunft, sagt der Stammesälteste.
Arbeiten am gegenseitigen Verständnis
Touristenführer Hilton seinerseits erklärt den Gästen, wie die Ureinwohner seit Jahrtausenden hier leben und sterben. Wie sie ihre Toten bestatten, Essen finden und jagen. Und die jungen Touristen staunen.
Zurück bei der Anlegestelle erzählen die Schülerinnen und Schüler den am Ufer wartenden Lehrern begeistert vom Erlebten.
Der Beobachter wird den Eindruck nicht los, dass Hilton Garnarridj, dieser schüchterne Aborigine in seinem zerknitterten Hemd, in bloss einer Stunde mehr zum Verständnis zwischen schwarzen und nicht-indigenen Australiern beigetragen hat, als so mancher Politiker in einem ganzen Jahrzehnt.