Die Umfragen zeichnen das Bild eines knappen Rennens ohne klaren Favoriten. Gewählt wird in den USA allerdings nicht unbedingt, wer ein Volksmehr erreicht, sondern wer mindestens 270 der Elektorenstimmen auf sich vereint. Wer in einem Bundesstaat die meisten Stimmen holt, sichert sich dort in der Regel auch alle Elektoren. Somit dürfte sich die Wahl in sieben umkämpften Bundesstaaten entscheiden. Vielleicht aber auch in Nebraska – einer von nur zwei Bundesstaaten, in dem die Elektorenstimmen aufgeteilt werden.
Es ist gut, zu Hause zu sein.
Tim Walz' Wahlkampfauftritt in der Nähe von Omaha, der grössten Stadt des Bundesstaats, ist ein Heimspiel. «Es ist gut, zu Hause zu sein», ruft er beim Betreten der Bühne. Der Vizekandidat der US-Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris stammt aus Nebraska. Walz und seine Frau waren hier auch eine Zeit lang als Lehrpersonen tätig.
«Ich habe Freunde, die Schüler von ihm und seiner Frau waren. Sie sind gute Menschen. Er war ein guter Coach», meint Paul Schulte, Vizepräsident der Lehrergewerkschaft. «Sie kennen die Werte, die wir hier in Nebraska haben.»
Omaha könnte Harris zur Siegerin küren
Harris' Vizekandidat tritt bereits zum zweiten Mal in Nebraska auf. Und wie viele hier, spricht auch er bei seinem Auftritt vom «blauen Punkt». Dieser prangt auf T-Shirts von Fans und als Pin an der Brust von Walz. Er ist zum Symbol geworden für die Demokraten in Nebraska, ein Bundesstaat, der mehrheitlich republikanisch wählt.
Dass der «blaue Punkt» zum Wahlkampf-Symbol geworben ist, hat unter anderem mit Jason Brown und Ruth Huebner-Brown zu tun. Sie stellten im Sommer eine weisse Tafel mit einem grossen blauen Punkt vor ihr Haus. Die beiden Demokraten trafen einen Nerv. Bald wollten auch andere einen «blue dot».
«Wir verteilten die Schilder vor unserem Haus», erzählt Brown. «Die Leute standen auf dem Trottoir oder in unserer Einfahrt. Sie waren nervös. Sie sagten: ‹Ich nehme ein Schild, weiss aber nicht, ob ich den Mut habe, es aufzustellen.›» Eine Woche später seien viele zurückgekommen. Sie fragten nach zusätzlichen Schildern, weil auch ihre Nachbarn damit angefangen hatten. «Die Menschen wollen Zusammengehörigkeit.» Und dieses Gefühl sei für Demokraten in einem roten Bundesstaat manchmal nur schwer zu finden.
Es ist denkbar, dass Kamala Harris in Michigan, Wisconsin und Pennsylvania gewinnt, Donald Trump aber in den anderen vier umkämpften Bundesstaaten. Die eine Stimme in Nebraska würde dann Kamala Harris auf 270 Elektoren bringen und ihr die Wahl sichern.
Wahlsystem wird infrage gestellt
Die Republikaner wollten Harris diesen Pfad in letzter Minute verbauen und versuchten, die Spielregeln zu ändern. Nebraska sollte die Elektorenstimmen so vergeben wie fast alle anderen Bundesstaaten auch. Dieses Vorhaben scheiterte im Parlament von Nebraska am Widerstand eines Republikaners.
Der Rest des Landes sollte sich vielmehr ein Beispiel an Nebraska nehmen.
«Die Leute hier wollen ihr besonderes Wahlsystem nicht verlieren. Der Rest des Landes sollte sich vielmehr ein Beispiel an Nebraska nehmen», meint Paul Schulte von der Lehrergewerkschaft. «In unserem Bundesstaat wird der Wählerwille besser abgebildet.»
Die Demokraten in Nebraska sind stolz auf die Rolle, die sie spielen. «Ein blauer Punkt macht den Unterschied», sagt auch Tim Walz zum Schluss seiner Rede. Gleichzeitig hoffen in Omaha wohl viele, dass es am Ende nicht auf diese eine Elektorenstimme ankommt.