Donald Trump und Kamala Harris sind häufige Gäste in North Carolina. Beide besuchten auch schon das Gebiet im Westen des Bundesstaates, wo ein Hurrikan schwere Verwüstungen angerichtet hat. Man darf vermuten, dass das auch Teil des Wahlkampfs war: North Carolina ist einer von sieben hart umkämpften Bundesstaaten, in denen sich die US-Präsidentschaftswahl entscheiden wird.
2008 siegte Barack Obama in North Carolina mit hauchdünnem Vorsprung, doch ansonsten setzten sich hier seit 1980 Republikaner durch. Der Bundesstaat schien auch in diesem Wahljahr für die Demokraten ausser Reichweite, als der Kandidat noch Joe Biden hiess. Doch mit der neuen Kandidatin Kamala Harris sei die Wahl nun «auf Messers Schneide», sagt Politologe Michael Bitzer vom Catawba College. Die Demokraten würden für den Wahlkampf in North Carolina viele Ressourcen aufwenden. Davon zeugten die über zwei Dutzend Wahlkampfbüros, die sie im Bundesstaat eröffnet hätten.
Begeisterung für Harris
Der Enthusiasmus, den Kamala Harris in ihrer Partei ausgelöst hat, zeigt sich an einem Mittwochabend im unscheinbaren Parteihauptquartier der Demokratischen Partei im Wilson County, etwas östlich der Hauptstadt von North Carolina. Das Städtchen Wilson ist das Zentrum des kleinen Verwaltungsdistrikts, die Umgebung ist ländlich.
Es begeistert mich, dass eine Tochter von Migranten aus dem Mittelstand unsere Präsidentschaftskandidatin ist.
Etwa dreissig Leute sind zur Sitzung erschienen. Die Parteileitung berichtet von einer Wahlkampfveranstaltung von Kamala Harris. Berauschend sei sie gewesen, die Energie der Wahlkampagne sei spürbar gewesen. Seit Harris im Rennen sei, habe sie viel mehr freiwillige Wahlhelferinnen, erklärt die Parteivorsitzende Mahalia Witter-Merithew. Sie selbst sei hoch motiviert, sagt die Besitzerin einer Brauerei, die als Kind mit ihren Eltern von den Philippinen in die USA einwanderte: «Es begeistert mich, dass eine Tochter von Migranten aus dem Mittelstand unsere Präsidentschaftskandidatin ist.»
Selbst für North Carolina, in dem gut ein Fünftel der Bevölkerung schwarz ist, hat das Wilson County einen grossen afroamerikanischen Bevölkerungsanteil: etwa 40 Prozent. Es sei entscheidend, die Schwarzen, die grossmehrheitlich demokratisch wählen, zu mobilisieren – mit Telefonanrufen oder im Gespräch an der Haustür. Das sagt Jacqueline Williams, eine ältere Schwarze. Sie sei zuständig für einen Bezirk im Wilson County, in dem überwiegend Latinos und Schwarze lebten. «Wenn ich nicht dafür arbeite, dass sie wählen gehen, werden wir unser County nicht blau machen können», sagt Williams, die hier aufgewachsen ist.
2022 gingen zu wenige unserer Wählerschaft an die Urne. Wir hatten nicht das Energielevel, wie es jetzt spürbar ist.
Lange war das Wilson County «blau»: Hier gewannen seit 2008 stets demokratische Präsidentschaftskandidaten. Aber 2022, bei den Zwischenwahlen, reüssierten gleich mehrere Republikaner. Doch diese Wahl sei anders, glaubt Williams: «2022 gingen zu wenige unserer Wählerschaft an die Urne. Wir hatten nicht das Energielevel, wie es jetzt spürbar ist.» Dieses Jahr sei den Leuten klar, dass ihre Stimme zähle – speziell im Wilson County.
Für schwarze Wählerinnen und Wähler sei der Erhalt ihrer persönlichen Rechte das wichtigste Anliegen – und die Wirtschaft. Es gelte ihnen klarzumachen, dass diese jetzt besser laufe als unter Donald Trump. Das ist eine Herausforderung angesichts der hohen Teuerung, welche die Menschen in den Biden-Jahren plagte.
Die vielen Kirchen in Wilson lassen vermuten, dass ein anderes Thema für die Demokraten nicht die gleiche Zugkraft hat wie anderswo: das Recht auf Abtreibung. «Viele hier sind sehr religiös», sagt Mahalia Witter-Merithew. «Selbst in der Demokratischen Partei gibt es solche, die glauben, Frauen sollten nicht abtreiben».
Der Schlüssel zum Erfolg – und ein extremer Kandidat
Tatsächlich sei die Mobilisierung der Schlüssel zum Erfolg, erklärt Politologe Michael Bitzer: «Besonders die Wahlbeteiligung der schwarzen Wählerschaft war in der Vergangenheit nicht hoch genug für einen Sieg der Demokraten.» Diese müssten in ihren Hochburgen, in den rasch wachsenden Städten wie Charlotte, die Wahlbeteiligung in die Höhe treiben und auch Junge an die Urne bringen. Es gelte, in den Vorstädten um Stimmen zu kämpfen, ebenso in den ländlichen Gebieten, wo es darum gehe, weniger deutlich zu verlieren als früher.
Dass in North Carolina auch ein neuer Gouverneur und ein neues Parlament des Bundesstaates gewählt wird, könnte den Demokraten in die Hände spielen: Die Republikaner haben mit Mark Robinson einen extremen Kandidaten für das Amt des Gouverneurs aufgestellt. CNN berichtete, Robinson habe vor einigen Jahren auf einer Pornoseite Kommentare geschrieben. Er habe sich etwa als «schwarzen Nazi» bezeichnet oder sich für die Wiedereinführung der Sklaverei ausgesprochen. Es ist fraglich, inwiefern der Skandal auch Trump schadet, der Robinson unterstützt.
Es wäre nicht das erste Mal, dass die Wählerinnen und Wähler in North Carolina mehrheitlich für einen demokratischen Gouverneurskandidaten stimmen, aber für einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten. Aber wenn nur schon einige davon abgeschreckt würden, für Trump zu stimmen, wäre das bedeutend, zumal die Umfragen das Bild eines Kopf-an-Kopf-Rennens zeichnen.
Ein County zwischen rot und blau
Mick Rankin, der im Wilson County der Republikanischen Partei vorsitzt, wird nicht gern auf die Causa Robinson angesprochen. «Ich will das nicht kommentieren, weil ich den Wahrheitsgehalt der Vorwürfe nicht kenne», sagt Rankin, dessen Cowboyhut genauso eindrücklich ist wie seine grosse Gürtelschnalle.
In North Carolina stimmte bei den innerparteilichen Vorwahlen fast ein Viertel der Wählerinnen und Wähler für Trumps Konkurrentin Nikki Haley – im Wilson County waren es 13 Prozent. Auch am Wahltag am 5. November würden wohl einige wenige Republikaner nicht für Trump stimmen, sagt Rankin. Aber am Ende würden die meisten den Kandidaten wählen, der ihre Werte vertrete, also Trump. Seine Partei habe im traditionell demokratisch gefärbten Wilson County Fortschritte gemacht, so Rankin.
Tatsächlich sind rurale Gebiete für die Demokraten zu einem sehr harten Pflaster geworden. Das ist in North Carolina, wo etwa ein Drittel der Bevölkerung auf dem Land lebt, ein Problem für Kamala Harris. Die Zahl der registrierten Demokraten im Wilson County habe ab- und die Zahl der Parteiunabhängigen zugenommen, sagt Mick Rankin. Die Demokratische Partei sei hier vielen zu weit nach links gerückt.
Ausserdem habe Trump starke Pläne für die Wirtschaft. Und die Republikaner hätten für das Wilson County geliefert: «Unsere Vertreter im Parlament von North Carolina haben in den letzten zwei Jahren dafür gesorgt, dass über 76 Millionen Dollar in unser County flossen.»
Rankin glaubt, dass das Wilson County dieses Mal republikanisch wählt. «Ich werde in den nächsten Wochen Leute treffen, an Haustüren klopfen, Telefonanrufe machen, an Sitzungen gehen und den Leuten einhämmern, an die Urne zu gehen», sagt Rankin. Er weiss: In North Carolina zählt jede Stimme.