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US-Wahljahr 2024 Joe Biden zeigt Kampfgeist – und Realitätsverweigerung

Joe Biden will beweisen, dass er den Job noch kann. Mit einem Auftritt im umkämpften Bundesstaat Wisconsin und einem Interview im Fernsehsender ABC. So will Biden die unzähligen Zeitungsseiten und TV-Stunden entkräften, in denen über zunehmende Aussetzer berichtet und ihm der Rückzug nahe gelegt wird. Die über Geldgeber berichten, die sich zurückziehen sowie Kongresskandidaten, die fürchten, dass Biden sie mit ins Verderben zieht. Die Debatte war vor über einer Woche und die Kritik reisst nicht ab. Bidens Auftritte werden dies kaum stoppen.

Nur der liebe Gott könne ihn aufhalten

Seine Rede in Wisconsin war zwar gut vorgetragen, allerdings las Biden vom Teleprompter ab. Aussagekräftiger das Interview mit Journalist George Stephanopoulos. Biden leistete sich keine Aussetzer, löste nicht noch mehr Panik aus. Doch er zeigte einiges an Realitätsverweigerung, vielleicht gar Sturheit und Überheblichkeit.

Stephanopoulos fragt ihn, ob Biden sich die Debatte im Nachhinein selbst angeschaut habe. Bidens Antwort: Ich glaube nicht. Die Rückzugsforderungen? Ihm sagten die Leute, er solle im Rennen bleiben. Biden findet, er sei der am besten qualifizierte Kandidat für das Amt, und nur der liebe Gott könne ihn davon abbringen.

Beliebtheitswerte sinken

Die Wählerschaft sieht es anders. Laut einer Umfrage des Wall Street Journals finden 80 Prozent, Biden sei zu alt. Dieselbe Umfrage zeigt, dass Biden gegenüber Trump zurückfalle. Würde heute gewählt, wäre demnach Trump der Sieger. Auf die Umfragewerte angesprochen, sagt Biden, er glaube diesen nicht.

Bidens Beliebtheitswerte waren schon vor der Debatte gesunken. Laut einer Umfrage der New York Times, sagten vor der Wahl vor vier Jahren 52 Prozent, sie würden Biden wählen. Vor der aktuellen Debatte seien es noch 38, danach 36 gewesen. Das ist für einen Amtsinhaber, der wieder antritt, nach allen Gesetzen des Wahlkampfs ein absolut desaströser Wert. Bidens Antwort: Das entspricht nicht unseren Zahlen.

Kamala Harris kommt auch nicht gut weg

Für Teile der Mitte-links-Wählerschaft hatte die Debatte bestätigt, was sie schon länger befürchten: Dass Biden ein anständiger Mensch sei und als Präsident einiges erreicht habe, aber dass sein Körper und Geist ihre Grenzen erreicht hätten, für einen der stressigsten Jobs der Welt. Sie befürchten, dass Biden gegen Donald Trump nicht gewinnen könne, und damit genau das bewirke, was er und die Demokraten verhindern wollten: Eine zweite Präsidentschaft Trump, die ihrer Überzeugung nach die amerikanische Demokratie existentiell gefährdet.

Die Frage bleibt, wer eine bessere Chance hätte gegen Trump. Die naheliegendste Alternative wäre die Vizepräsidentin. Kamala Harris hat allerdings etwa gleich schlechte Beliebtheitswerte wie Biden. In den verfügbaren Umfragen, die Harris gegen Trump messen, schneidet sie ähnlich ab wie Biden. Zudem werden beliebte Gouverneure als mögliche Alternativen herumgereicht. Ihre Chancen sind jedoch ungewiss.

Der angeschlagene Biden birgt Risiken

Es gibt derzeit also keine Alternative, die in Umfragen klar besser abschneidet als Biden. Doch in den letzten Tagen mehren sich die (oft anonym zitierten) Stimmen, die lieber mit einer Alternative ein ungewisses Risiko eingehen wollen, als das gewisse Risiko mit dem angeschlagenen Biden. Allerdings müsste Biden sich dafür zurückziehen.

Im Interview antwortet Biden auf die Frage, was er fühlen würde, wenn Trump gewinnen würde: Er habe sein Bestes gegeben. Das ist für viele nicht gut genug.

Viviane Manz

USA-Korrespondentin

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Die promovierte Juristin arbeitet seit 2005 bei SRF. Seit Frühjahr 2021 ist Viviane Manz USA-Korrespondentin von SRF in New York.

Hier finden Sie weitere Artikel von Viviane Manz und Informationen zu ihrer Person.

Tagesschau, 06.07.2024, 13 Uhr

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