Gail Kocourek hat einen Spitznamen für den Grenzzaun zwischen Mexiko und den USA: «Boondoggle» nennt sie ihn, Schwindel. «Für 50 Dollar kannst du dir eine Klinge kaufen, die Streben aufschneiden und einfach über die Grenze», sagt die Flüchtlingshelferin und geht dem Zaun entlang, der sich 600 Kilometer lang durch die Steppe zieht.
Rund 40’000 Migrantinnen und Migranten überqueren im Bundesstaat Arizona jeden Monat die Grenze, schon seit Jahren ist die Migration an der US-Südgrenze ein Politikum.
Die Grenze wurde zur Drehtür
Um die Zahl der illegalen Grenzübertritte zu senken, hat Ex-Präsident Donald Trump 2018 den Grenzzaun bauen lassen und 2020 eine alte Regel wieder in Kraft gesetzt: den «Title 42». Ein Gesetz, das es der Grenzpolizei erlaubt, Immigranten ohne Asylverfahren direkt wieder abzuschieben.
Migranten wurden abgewiesen, zurückgeschickt – und seien direkt wieder über die Grenze, sagt die Flüchtlingshelferin Gail Kocourek: «Unter dem Title 42 wurde die Grenze hier zur Drehtür.» Manche seien 10, 20 Mal hintereinander über die Grenze gegangen. «Die Schmuggler haben sich daran eine goldene Nase verdient.»
Bidens Regierung fährt restriktiven Kurs
Unter der Regierung Biden-Harris wurde der Title 42 ausser Kraft gesetzt. Mit der neuen Regelung ist es aber illegal, nach einer Abweisung noch einmal über die Grenze zu kommen – wer zweimal illegal einreist, riskiert mehrere Jahre Gefängnis. Ausserdem werden Migrantinnen und Migranten sofort abgewiesen, wenn in einer Woche mehr als 1500 Menschen täglich über die Grenze kommen. Asylverfahren sind dann erst wieder möglich, wenn die Zahlen wieder tiefer sind.
Die Migrationspolitik unter der aktuellen Regierung gilt damit als die strikteste aller bisherigen demokratischen Regierungen. Besser als Trumps Politik findet Gail Kocourek das nicht. «Es ist einfach schwieriger geworden für viele, die bleiben wollen», sagt die Flüchtlingshelferin.
Wir brauchen eine Regierung, die macht, was wir brauchen. Bisher habe ich das nicht gesehen.
Doch die neue Regelung scheint zu greifen: Ein paar Autostunden weiter östlich, in der texanischen Stadt El Paso, sagt der stellvertretende Stadtverwalter Mario D’Agostino, die Zahl der Verhaftungen an der Grenze sei von teilweise 1000, 1500 pro Tag auf unter 400 gefallen. «Diese Regelung hat einen langfristigen Effekt», glaubt der Stadtverwalter. «Davor hatten wir immer wieder Ausschläge nach oben, das haben wir jetzt nicht mehr.»
Keine Partei überzeugt
Trotzdem kritisiert D’Agostino die aktuelle US-Migrationspolitik – und die vergangene unter Trump: «Wir sollten nicht nur auf die Situation an der Grenze reagieren. Wir sollten vollumfänglicher überlegen, wie wir die Probleme an ihren Wurzeln lösen können», ist der Stadtverwalter überzeugt. Das sieht auch Gail Kocourek so: «Ich verstehe, warum Biden seine Migrationspolitik so macht. Aber ich bin trotzdem sehr enttäuscht von ihm, wir waren das alle.»
Fraglich bleibt, ob Kamala Harris als neue demokratische Präsidentschaftskandidatin am fehlenden Vertrauen etwas ändern kann. Als Vizepräsidentin war sie mitverantwortlich für die Migrationspolitik von Bidens Regierung. Stadtverwalter D’Agostino sagt: «Wir brauchen eine Regierung, die macht, was wir brauchen. Bisher habe ich das nicht gesehen, weder bei Trump noch bei Biden.»
Flüchtlingshelferin Kocourek hat für den Grenzzaun noch einen weiteren Spitznamen: «Trump-Biden-Boondoggle» – Trump-Biden-Schwindel.