SRF: Donald Trump sagte in seiner ersten Rede nach dem Wahlsieg, er wolle die Menschen und das Land einen. Kommt nun alles gut für die USA?
Christian Lammert: Das bleibt abzuwarten. Was Trump gesagt hat, war Symbolik. In den USA gehört es mit zum Geschäft, einen Wahlsieg auf diese Weise anzukündigen. Wie genau Trump seine Aussage umsetzen wird, werden wir erst in einigen Wochen sehen. Klar ist allerdings, dass er jetzt die Hand reichen muss – auch um Kooperationspartner im Kongress zu finden.
Den USA geht es wirtschaftlich relativ gut, die Arbeitslosigkeit ist tief, Wachstum ist vorhanden. Wieso trotzdem diese Protestwahl?
Viele US-Bürger haben trotz der stabilen Wirtschaftszahlen das Gefühl, dass sich ihr Land nicht in die richtige Richtung entwickelt. Man sieht daran, dass das Faktische etwas entkoppelt ist und viele Menschen ihre Stimmung nur noch aus dem Bauch heraus artikulieren. Das hat Trump sehr geschickt aufgegriffen. Er war aber auch im sogenannten Rust-Belt sehr erfolgreich, womit die Clinton-Kampagne nicht gerechnet hatte. Im Norden der USA an der Grenze zu Kanada lebt die weisse amerikanische Arbeiterklasse, die von der aktuellen wirtschaftlichen Erholung kaum profitiert. Die Arbeitslosigkeit ist dort überdurchschnittlich hoch und die Krise stark spürbar. Die Menschen dort stimmten für Trump, weil sie kein Vertrauen mehr in die etablierten Politiker haben.
Ausgerechnet der Polarisierer Trump steht nun vor der Frage, wie die Spaltung überwunden werden kann.
Laut CNN-Nachwahlbefragungen haben vor allem die über 40-Jährigen Trump gewählt, die jüngeren eher Clinton. Tut sich auch ein Graben zwischen Alt und Jung auf?
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Diese Tendenz besteht, das hat man auch schon im Wahlkampf gesehen. Vielleicht wäre es für die Demokraten sinnvoller gewesen, mit Bernie Sanders in den Wahlkampf zu ziehen. Er hatte auch die ganz jungen Wählerinnen und Wähler weit stärker mobilisiert als Clinton. Vor allem bei ihnen und den Afroamerikanern konnte Clinton laut ersten Umfragen nicht punkten. Dabei sind die sogenannten Millennials sehr heterogen zusammengesetzt, ihnen gehören viele Asian-Americans, Hispanics und Afroamerikaner an – was eigentlich ein Vorteil für die Demokraten sein sollte. Die Trump-Wähler sind meist Ältere, Weisse und Männer, aber auch mehr Frauen haben Trump gewählt, als im Vorfeld erwartet. Auch rund 30 Prozent der Hispanics gaben ihre Stimme überraschenderweise Trump. Viele Überlegungen, die im Vorfeld der Wahl zum Verhalten der verschiedenen Bevölkerungsgruppen angestellt wurden, waren also nur bedingt richtig.
Vor der Wahl hiess es, die Verlierer, Weissen, Enttäuschten, Armen und Washington-Hasser hätten sich hinter Trump gestellt. Wie zersplittert ist das Land am Tag nach der Präsidentenwahl?
Die USA sind stark zersplittert, auch auf der Ebene der politischen Funktionsträger. Das wird das grössere Problem sein. Einen Eindruck davon erhielt man, wenn man bei der Analyse des Wahlergebnisses die US-Nachrichtensender mitverfolgte und sah, wie Vertreter von Republikanern und Demokraten nicht in der Lage waren, miteinander zu sprechen. Das lässt nichts Gutes erwarten. Auch die Bevölkerung ist frustriert und gespalten. Es wird viel Arbeit brauchen, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wieder hinzukriegen. Das muss mit einem anderen Umgang der Politiker miteinander einhergehen, wird aber schwierig, weil sich das US-Mediensystem ebenfalls entlang der Links-Rechts-Spaltung formiert hat. Die Leute erhalten immer nur jene Nachrichten, die sie auch erhalten wollen – über die Medien werden zwei verschiedene Realitäten transportiert. Nun steht ausgerechnet der Polarisierer Trump vor der Frage, wie diese Spaltung überwunden werden kann.
Die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa könnten nun Auftrieb erhalten.
Kommt das duale US-Politsystem mit Republikanern und Demokraten an seine Grenzen? Braucht es etwas Neues?
Etwas Neues ist nicht zu sehen, eine grundlegende Reform wird es nicht geben. Es sollte nun an kleinen Stellschrauben gedreht werden, wie dies unter einer Präsidentschaft Clinton angedacht gewesen wäre: Wichtig wäre etwa, das Prozedere der Einteilung der Wahlkreise zu reformieren und der Kontrolle der Parteien in den einzelnen Bundesstaaten zu entziehen. Damit könnte die verzerrte Polarisierung etwas abgeschwächt werden, und es wären wieder etwas moderatere Politiker im Bundesparlament, die auch zu einer parteiübergreifenden Zusammenarbeit bereit wären. Ich weiss aber nicht, ob Trump dieses Problem nun angehen wird.
Aus Europa sind die Reaktionen auf die Wahl Trumps zweigeteilt: Rechts wird gratuliert – so etwa von Seiten Marine Le Pens. Sonst zeigt man sich schockiert. Wie stark wird diese Wahl das transatlantische Verhältnis eintrüben?
Ich bin etwas schockiert über die drastischen Reaktionen der europäischen Politiker. Schliesslich muss man sich damit abfinden, dass man mit US-Präsident Trump zusammenarbeiten muss. Da ist es nicht unbedingt die beste Strategie, gleich die Keule zu schwingen. Problematisch ist aber vor allem, dass die rechtspopulistischen Bewegungen in Europa nun Auftrieb erhalten. Sie sehen, dass man mit einem solchen Programm sogar Wahlen gewinnen kann und werden entsprechend selbstbewusster auftreten. Zudem könnte die Wahl Trumps auch die «Lügenpresse»-Diskussion weiter befeuern und radikalisieren.
30 Prozent der nach 1980 in den USA geborenen Amerikaner sehen in der Demokratie nicht die beste aller Staatsformen.
In den US-Medien ist nach der Wahl Trumps auch die Rede von einem «Brexit 2.0». Inwiefern sind die beiden Volksentscheide in Grossbritannien und den Vereinigten Staaten vergleichbar?
Auf beiden Seiten des Atlantiks ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik und die Institutionen offenbar verloren gegangen. Neben den parteipolitischen Konfliktlinien gibt es eine neue Konfliktstruktur, die sich eher in Globalisierungsbefürworter und -gegner teilt als in Konservative und Liberale. Da formieren sich neue Wählerkoalitionen, die noch schwer zu fassen sind. Wohl nicht zuletzt deshalb hatten die Umfrageinstitute so grosse Probleme mit ihren Wahlvorhersagen. Offensichtlich gibt es in allen westlichen Demokratien eine immer grössere Bevölkerungsgruppe, die demokratiemüde ist. Ihnen ist auch nicht mehr bewusst, wie wichtig die institutionellen Grundlagen für eine funktionierende Demokratie sind. Mittlerweile finden 30 Prozent der nach 1980 in den USA geborenen Amerikaner laut Umfragen, dass die Demokratie nicht die beste aller Staatsformen ist. Diese Entwicklung sollte uns höchst sensibel machen.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.