Das hat es in der Geschichte der modernen USA noch nicht gegeben. Ein amtierender Präsident bezieht Posten mit streikenden Arbeitern. Doch Joe Biden gibt sich seit jeher gewerkschaftsfreundlich. Gleichzeitig hat er noch wenige Tage vor dem Streik der Autobauer öffentlich kundgetan, ein solcher Streit würde «nicht stattfinden».
Es war wohl mehr Wunschdenken, denn der Streik bei den drei grössten Autobauern der USA kommt Bidens Wahlkampfteam äusserst ungelegen. Biden verweist mit Vorliebe auf seine Erfolge in der Wirtschaft und wirbt mit einer «Bidenomics»-Kampagne für sich. Der Streik bringt ihn in eine knifflige Situation.
Trumps Nadelstiche
Sein wahrscheinlichster Kontrahent um die nächste Präsidentschaft nutzt Bidens Dilemma genüsslich aus. Donald Trump hatte schon kurz nach Streikbeginn verkündet, diese Woche ebenfalls nach Detroit reisen zu wollen, um zu den streikenden Arbeitern zu sprechen. Denn auch wenn seine Republikaner Gewerkschaften traditionell skeptisch gegenüberstehen, haben sie jüngst das Stimmenpotential der organisierten Arbeiterinnen und Arbeiter für sich entdeckt.
Ausserdem kann Trump so einen weiteren Nadelstich setzen gegen seine innerparteilichen Konkurrenten (und die eine Konkurrentin) im Kampf um die republikanische Präsidentschaftskandidatur. Die streiten sich nämlich am selben Abend in der zweiten TV-Debatte – und werden dabei auch diesmal kaum beachtet.
Verfahren gegen Biden
Dass die sechs Kandidaten um Floridas Gouverneur Ron DeSantis oder Unternehmer Vivek Ramaswamy und Trumps ehemalige UNO-Botschafterin Nikki Haley auch diesmal schon am Tag nach der Debatte kaum mehr Thema sein werden, dafür sorgt nicht nur Donald Trump, sondern auch seine Verbündeten im Kongress.
Diese kleine, aber stimmgewaltige Gruppe hat nämlich ihren Willen durchgesetzt, und so werden die Republikaner im Repräsentantenhaus am Donnerstag die ersten öffentlichen Anhörungen zu einem möglichen Amtsenthebungsverfahren gegen Joe Biden abhalten. Beweise für mögliche Verfehlungen des Präsidenten haben die Trumpisten bislang zwar keine vorgelegt, aber das ist auch nicht ihr Ziel.
Die nächste konservative Revolution
Das Ziel dieser kleinen konservativen Gruppierung ist es, Institutionen des Bundesstaates niederzureissen. Die Angehörigen des sogenannten «Freedom Caucus» sehen die Regierung in Washington als Gefahr für die Republik, als einen gefährlichen Kraken, den es zu bekämpfen gilt, ungeachtet der Konsequenzen. Deshalb sind diese Konservativen auch bereit, ihren eigenen «Speaker» abzusetzen, wenn er ihre Forderungen nicht erfüllt.
Der drohende Stillstand
Aufgrund der äusserst knappen Mehrheiten im Kongress hat diese kleine Minderheit genügend Macht, sogar eine Debatte über das von den Republikanern sonst meist diskussionslos verabschiedete Verteidigungsbudget zu blockieren. Die zerstrittenen Republikaner könnten zwar auf ein Eintreten für die Budgets der Ministerien einigen.
Aber die Vorlagen beinhalten so viele Kürzungen, dass sie im demokratisch dominierten Senat keine Chance haben. Dabei drängt die Zeit: Wenn sich die Abgeordneten bis Samstagnacht nicht auf ein neues Haushaltsgesetz einigen, kommt die Regierung zum Stillstand. Die Riege um Donald Trump nimmt das nicht nur in Kauf, es scheint vielmehr ihr Ziel zu sein.