«America First», «Europe Alone»: Donald Trump sorgt derzeit dafür, dass sich die Karten im globalen Ränkespiel neu mischen. Was der US-Präsident wirklich vorhat, ist schwer zu ergründen. Und auch, ob er überhaupt einen Plan hat oder dem Prinzip Chaos folgt.
Klar ist: Die regelbasierte Weltordnung und das transatlantische Bündnis sind schwer angeschlagen. Russland freut’s, China wartet ab. Und inszeniert sich als rationaler, verlässlicher Ruhepol.
Die Welt in Unordnung
Die Welt steht Kopf – und das nach ein paar Wochen Trump 2.0. Dieser sieht die USA weder als Ordnungsmacht noch als Weltpolizisten. Stattdessen wird «Business» gemacht. Europa stockt der Atem.
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Bild 1 von 2. In München kündigte US-Vizepräsident J.D. Vance an, dass ein «neuer Sheriff in der Stadt» sei. Für Recht und Ordnung sorgt er allerdings nicht – im Gegenteil. Bildquelle: Keystone/EPA/Ronald Wittek.
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Bild 2 von 2. «Die freie Welt braucht einen neuen Anführer», quittierte die EU-Aussenbeauftragte Kaja Kallas den «Rausschmiss» des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski aus dem Weissen Haus. Bildquelle: Keystone/AP/Virginia Mayo.
Doch wer füllt das Vakuum, das die Amerikaner hinterlassen? Teilen sich die Grossmächte die Welt in Einflusssphären, betreiben sie Jobsharing in der Chefetage? Remo Reginold, Experte für Geopolitik, erklärt, wer in die Bresche springen – und wer auf der Strecke bleiben könnte.
Das Zeitalter der Opportunisten
Die Zeiten eines grossen «Ego-Leaders» seien vorbei, sagt der Direktor des Swiss Institute for Global Affairs. «Wer die Weltpolitik dechiffriert, der sieht heute eine volatile, unsichere und mehrdeutige Welt.»
Es wird ohne Gremien und Sekretariate, situativ und opportunistisch Politik gemacht – je nachdem, welche Konstellation gerade vorteilhaft erscheint.
Reginold spricht von einem globalen Gefüge, in dem unterschiedliche «Themen und Tempi» wirken – ohne Supermacht, die den Takt vorgibt. Stattdessen formiere sich ein «Konglomerat von unterschiedlichen Kräften», die wahlweise kooperieren oder in Konkurrenz zueinander stehen.
Interessen statt Ideologie
Kurzum: Die Zeit der klar abgegrenzten, rivalisierenden Machtblöcke neigt sich ihrem Ende zu. Bündnisse weichen Deals, internationale Organisationen verlieren an Bedeutung, die weltpolitischen Hierarchien werden flacher.
Als Beispiel für ein Land, das das Spiel auf dieser Klaviatur beherrscht, nennt der Politikberater Indien: Je nach Konstellation könne die aufstrebende Grossmacht Partner, Gegner oder Wettbewerber sein.
Machtpolitische Beliebigkeit
Zum Leben erwacht all das im Brics-Konstrukt, in dem demokratisch mit autoritär geführten Staaten zusammenspannen. «Hier wird ohne Gremien und Sekretariate, situativ und opportunistisch Politik gemacht – je nachdem, welche Konstellation gerade vorteilhaft erscheint», sagt Reginold.
Die Welt wird führungsloser, undurchsichtiger, unkoordinierter. Das schwächt die «Leadership» der westlichen Länder, die sich bislang als Wertegemeinschaft verstanden. «Diese Klammer war aber auch immer eher symbolisch», relativiert Reginald. «Schon der ehemalige deutsche Aussenminister Genscher sagte: In der Geopolitik hat die Moral nichts verloren.»
Moral macht keine Politik
Realpolitisch sei es auch im Westen nie einfach darum gegangen, Demokratie und Menschenrechte durchzusetzen, sondern die eigenen Interessen. Auch, indem die USA und ihre europäischen Alliierten ihr militärisches und wirtschaftliches Gewicht in die Waagschale warfen.
Der Geopolitikexperte fürchtet, dass Europa auf dem internationalen Parkett weiter an Bedeutung verliert: Es sei zu träge, zu bürokratisch und zu unflexibel, um erfolgreich zu netzwerken. «Europa fehlt das strategische Momentum», bilanziert Reginold. «Wir müssen wegkommen von diesem technokratischen Verständnis von Aussenpolitik. Es braucht mehr Kreativität.»