Mit dem geplanten Nato-Beitritt von Schweden und Finnland werden die nordeuropäischen Staaten erstmals seit Jahrhunderten wieder dem gleichen Verteidigungsdach unterstellt sein. Nordeuropa-Korrespondent Bruno Kaufmann schätzt die neue Situation ein.
SRF News: Wie aussergewöhnlich ist ein gemeinsames Verteidigungsbündnis in Nordeuropa?
Bruno Kaufmann: Für Nordeuropa ist das eine ganz neue Situation. Seit dem 14. Jahrhundert und der Kalmarer Union gab es keine gemeinsame Verteidigungsunion mehr. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zwar Pläne für eine nordische Verteidigungsunion. Diese sind aber mit Beginn des Kalten Kriegs gescheitert. Finnland musste wegen der Nachbarschaft zur Sowjetunion neutral bleiben.
Der Ukraine-Krieg hat die Wahrnehmung massiv verändert.
Jetzt sind die Nato-Reihen im Norden geschlossen. Was bringt diese Einheit den nordischen Ländern?
Für die grossen Länder mit relativ wenig Einwohnerinnen und Einwohnern bringt ein gemeinsamer Verteidigungsplan praktische Vorteile. Beispielsweise kann die Luftwaffe gemeinsam organisiert werden. Es müssen nicht nur Landgebiete, sondern auch Seegebiete – wie die Arktis – gemeinsam verteidigt werden. In diesen Gebieten haben auch Russland, China und andere Nationen grosse Interessen.
Werden China und Russland in Nordeuropa als gleich bedrohlich wahrgenommen?
Eigentlich schon, aber der Ukraine-Krieg hat die Wahrnehmung massiv verändert. Alle nordischen Länder haben zumindest über den Seeweg eine Grenze mit Russland. Finnland sticht da wegen der Geschichte mit Kriegen und der 1300 Kilometer langen Grenze zu Russland heraus.
Als Nato-Mitglieder sind die Staaten verpflichtet, mehr Geld ins Militär zu stecken – mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts.
Dänemark und Norwegen blicken eher in den Norden zu Spitzbergen, das einen besonderen Status hat. Spitzbergen ist ein demilitarisiertes Gebiet, doch auch Russland ist dort präsent. Schweden schliesslich hat mit der Insel Gotland eine Art strategisches Zentrum in der Ostsee, nahe Kaliningrads, wo russische Atomwaffen stationiert sind.
Birgt der Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands auch Risiken?
Der Beitritt zur Nato ist vergleichsweise sehr schnell erfolgt. Früher hatte man in den nordischen Ländern lange Diskussionen. Eine Volksabstimmung ist jetzt auch ausgeblieben, der Informationsprozess beginnt erst jetzt. Als Nato-Mitglieder sind die Staaten verpflichtet, mehr Geld ins Militär zu stecken – mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts. Für Schweden und Dänemark entspricht das einer Erhöhung von über 50 Prozent.
In Finnland ging das Vertrauen in Moskau total verloren.
Das militärische Personal wurde, mit der Ausnahme von Finnland, in den letzten Jahren stark abgebaut. Auch hier muss man schauen, wer in diesen Truppen mitmachen könnte. Zudem geht ein wenig die Sorge um, einer Atomwaffenunion anzugehören. Notfalls werden jetzt also Nuklearwaffen eingesetzt.
Versprechen sich die skandinavischen Länder vom Nato-Beitritt tatsächlich mehr Sicherheit?
Die allermeisten Menschen sehen dies so. Gewisse Leute denken, Neutralität wäre sicherer, aber die Entwicklung rund um die Ukraine hat den Dialog als Lebensversicherung unterminiert. Gerade in Finnland ging das Vertrauen in Moskau total verloren. Und die Aussage von US-Präsident Joe Biden in Helsinki, künftig werde im Notfall jeder Zentimeter von ganz Nordeuropa von den Amerikanern verteidigt, hinterlässt doch das Gefühl einer gewissen Sicherheit bei den Nordländerinnen und Nordländern.
Das Gespräch führte Sandra Witmer.