Nach Olympischen Spielen oder Fussballweltmeisterschaften behaupten die Veranstalter stets, es seien «die besten Wettkämpfe seit je» gewesen. Ähnliche Qualifizierungen schleichen sich auch bei politischen Gipfeltreffen ein. Sie sind dann besonders fragwürdig, wenn sie bereits vor Gipfelbeginn auftauchen, wie diese Woche beim Nato-Spitzentreffen in Vilnius.
Richtig ist: Dieser Gipfel brachte zahlreiche und weitreichende Ergebnisse. Die Türkei macht endlich den Weg frei für Schwedens Beitritt zur westlichen Militärallianz. Präsident Recep Tayyip Erdogan lässt durchblicken, er suche nach Jahren der Abkehr wieder mehr Annäherung an den Westen. Schweden drin, die Türkei nicht länger Störenfried – ein Doppelerfolg für die Nato.
Die zähen Verhandlungen mit den Türken zeigen auch: Die Nato versagte zwar dabei, einen neuen Chef, eine neue Chefin zu küren. Doch stattdessen die Amtszeit von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg erneut zu verlängern, war gewiss nicht falsch. Gerade seiner Hartnäckigkeit, seiner Fähigkeit, auch mit schwierigen Staats- und Regierungschefs umzugehen, ist der Durchbruch im Schweden-Dossier zu verdanken.
Neue Verteidigungsstrategie: Kriegsführung im Notfall
Auf dem Gipfel in Vilnius wurde zudem eine neue Verteidigungsstrategie verabschiedet. Vorhaben, etwa die stärkere und vor allem ständige Nato-Truppenpräsenz in Osteuropa, über die zuvor jahrelang gestritten wurde, gingen auf einmal schlank durch. Die Nato befähigt sich jetzt wieder, notfalls in Europa Krieg zu führen. Etwas, das sie nach dem Ende des Kalten Krieges verlernt hatte.
Der Ukraine wird weitere umfangreiche Militärhilfe zugesagt. Konkret zu bemessen in Millionen und Milliarden, in Panzern, Raketen und Artillerie. Künftig soll die Unterstützung dauerhaft sein und nicht bloss von Fall zu Fall und dann oft mit dem Tropfenzähler. Die Ukraine wird militärisch mit westlichen Waffen und Logistik auf Nato-Kurs gebracht. Ihre Armee wird Bündnis-kompatibel.
Beitritt der Ukraine: Nato-Mitglieder stehen auf Bremse
Bei der Frage von Kiews Nato-Mitgliedschaft setzten sich indes die Zögerlichen durch. Zwar wissen alle, auch Präsident Wolodimir Selenski, dass ein Beitritt mitten im Krieg ausgeschlossen ist. Doch warum gab es keine verbindliche Einladung, wirksam, sobald der Krieg vorbei ist? Die Ukraine will rasch unter den Nato-Schirm. Für sie ist das die einzige nachhaltige Sicherheitsgarantie. Solange sie in einer Grauzone bleibt, fürchtet sie – aus gutem Grund –, die Frage «Nato-Beitritt Ja oder Nein» könnte zur Verhandlungsmasse werden in Friedensgesprächen mit Russland. Moskau hätte also ein Wort mitzureden.
Doch solange US-Präsident Joe Biden in der Beitrittsfrage auf der Bremse steht, solange können sich die Deutschen und andere hinter ihm verstecken. Zum Verdruss der Ukraine und ihr nahestehender Nato-Mitglieder.
So endet das Nato-Treffen insgesamt erfolgreich, aber nicht ohne Misstöne. Auf den Bussen in Vilnius ist diese Woche zu lesen: «Während Sie hier auf den Bus warten, wartet die Ukraine auf F-16-Kampfflugzeuge.» Ergänzen liesse sich: Auf den Nato-Beitritt muss sie wohl noch länger warten.