Das Wichtigste in Kürze
- Die kurdische Selbstverwaltung im Nordosten Syriens verlangt von der Schweiz die Rücknahme mehrerer Dschihadisten.
- Dabei handelt es sich um drei Frauen, einen Mann sowie ein im «IS»-Gebiet geborenes Kind.
- Erstmals spricht nun eine der Dschihad-Reisenden über die Beweggründe, beim «IS» als «freie Muslime» leben zu können.
Sie wollte im selbst ernannten «Islamischen Staat» ein gutes Leben führen, jetzt sitzt die Mutter aus Lausanne in einem kurdischen Internierungslager im Nordosten Syriens fest: die heute 29-jährige Selina (Name geändert). Nun spricht sie erstmals über ihre Beweggründe, zum «IS» zu reisen.
Wir dachten, das Leben dort wäre angenehm. Du kriegst ein Haus, du kriegst Geld.
Journalisten von «10vor10» und Tages-Anzeiger ist es gelungen, die Frau zu einem Gespräch zu treffen: «Ich war wohl einfach dumm. Wenn du alles hast wie in der Schweiz, wird es dir vielleicht irgendwann langweilig. Du denkst, lass uns in ein Abenteuer fahren!» Ausserdem habe der IS dazu aufgerufen, in seinem Territorium als «freie Muslime» zu leben.
Sie hätten nicht kämpfen, sondern einfach dort leben wollen, sagt Selina. «Ich weiss, es ist naiv, aber wir dachten, das Leben dort wäre angenehm. Du kriegst ein Haus, du kriegst Geld. Aber wenn du ankommst, merkst du: alles eine Lüge.»
Kurden verlangen Rücknahme von fünf Schweizern
2015 war die Schweizerin aus bosnischer Familie zusammen mit ihrem Freund, den sie religiös geheiratet hatte, zum «IS» gereist. Die Bundesanwaltschaft (BA) hat ein Strafverfahren gegen die beiden eröffnet, und die BA hat internationale Haftbefehle erlassen. Im April 2017 kam die Tochter der beiden zur Welt. Der Mann, auch er Schweizer, befindet sich ebenfalls in Gefangenschaft kurdischer Truppen in Syrien.
Die IS-Anhänger sind ein grosses Problem für uns, die meisten von ihnen sind Kriminelle.
Damit liegt der Zahl der festgehaltenen Schweizer bei fünf. Das bestätigt Abdul-Karim Omar, Verantwortlicher für Aussenbeziehungen der «Demokratischen Selbst-Verwaltung von Nord-Syrien»: ein Mann, drei Frauen, ein Kind. Die Personalien will Omar nicht nennen, doch dürfte damit das Paar aus Lausanne mit ihrem Kind gemeint sein, sowie die beiden Frauen aus der Region Biel, über die SRF berichtet hatte.
Der Verbleib des Mannes aus Lausanne war bisher nicht bestätigt – nun also muss die Schweiz neben den Frauen und dem Kind auch entscheiden, wie sie mit dem männlichen IS-Verdächtigen verfährt.
Schweiz bisher angeblich nicht zur Rücknahme bereit
Die Forderung der kurdischen de-facto Machthaber in der Region ist klar: Sie verlangen, dass die Herkunftsstaaten die gefangenen IS-Verdächtigen repatriieren, also zurückholen, das sagt der kurdische Aussenbeauftragte Omar gegenüber SRF und «Tages-Anzeiger»: «Die IS-Anhänger sind ein grosses Problem für uns, die meisten von ihnen sind Kriminelle. Und die Kinder brauchen eine Therapie nach all dem, was sie durchgemacht haben.»
Aber, so der kurdische Aussenbeauftrage, man könne sich nicht ewig um die Gefangenen kümmern. Es könnten Angriffe drohen von der Türkei oder vom syrischen Regime und in Kriegswirren drohte, dass die Gefangenen flüchten könnten. «Wir haben viele Opfer gebracht im Krieg gegen den «IS», jetzt sollte die internationale Gemeinschaft uns helfen, das Problem mit den Gefangenen zu lösen.» Die Schweiz allerdings habe bisher keine Bereitschaft geäussert, die Staatsbürger zurück zu holen.
Mein Mann weigerte sich, an der Front zu kämpfen
Das Schweizer Aussendepartement EDA erklärte, von Reisen jeder Art nach Syrien werde abgeraten, konsularischer Schutz für Personen, die diese Hinweise missachteten, könne deshalb nicht geboten werden. Die Möglichkeit, konsularischen Schutz zu leisten, sei nicht abhängig von Geschlecht oder Alter Schweizer Staatsangehöriger, sondern hänge davon ab, ob in einem Land überhaupt konsularischer Schutze gewährt werden könne. Das sei in Syrien nicht der Fall. Hinter den Kulissen laufen mittlerweile offenbar aber Sondierungen zu möglichen Rückführungen.
Verhaftet auf der Flucht in Richtung Türkei
Selina aus Lausanne sagt im Interview im kurdischen Internierungslager über die anderthalb Jahre beim «IS»: «Ich blieb meistens zuhause und schaute Videos, so war ich abgeschirmt von der Aussenwelt. Meinen Mann, er war am Anfang in einem Trainingslager, wollten sie an die Front schicken. Als er sich weigerte, nahmen sie ihn mit. Nach zwei Wochen kam er zurück, ganz abgemagert und müde. Er wollte mir nicht sagen, was passiert war.» Ihr Mann habe sich darauf versteckt gehalten.
Sie hätten aus dem «IS» flüchten wollen, aber keinen Weg gefunden. Im Januar 2018 – als das Territorium des «IS» bereits massiv geschrumpft war, die Städte Mosul im Irak und Rakka in Syrien zurückerobert waren – da hätten sie mit dem Kleinkind einen Fluchtversuch in Richtung Türkei gewagt, erzählt Selina. An einem Checkpoint wurden sie von kurdischen Truppen gestoppt und gefangen genommen. Die Frau und das Kind leben seither in einem Internierungslager im Nordosten Syriens, der Mann befindet sich in einem Gefängnis.