Schätzungsweise mehrere Tausend Kämpfer des selbst ernannten «Islamischen Staates» wurden, teils mit ihren Familien, während der Offensiven gegen die Terrormiliz in Syrien und Irak gefasst und interniert. Darunter befinden sich auch IS-Anhänger aus dem Westen – und, wie nun erstmals bekannt wird, auch aus der Schweiz. Das schreibt das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) auf Anfrage von SRF. «Dem EDA ist bekannt, dass einzelne Schweizer Staatsangehörige, die sich früher im Gebiet des ‹Islamischen Staats› aufhielten, in Syrien festgehalten werden.» Zu den Personen macht das EDA keine Angaben.
Das Gesicht der Kleinen war ganz geschwollen, überall Blattern, und die Lippen total ausgetrocknet. Sie war wirklich in einem sehr schlimmen Zustand.
Nach Recherchen von «10vor10» handelt es sich um drei Frauen aus der Schweiz: Zwei Freundinnen aus der Region Biel sowie eine Frau aus Lausanne. Das haben mehrere voneinander unabhängige Quellen gegenüber SRF erklärt. Eine der Frauen ist mit ihrem kleinen Kind inhaftiert.
Kleinkind in schlechtem Gesundheitszustand
Eine Angehörige der inhaftierten Mutter sagt im Interview mit «10vor10», die Familie stünde in sporadischem Kontakt mit ihr. Sie wolle zurück in die Schweiz. Das Kind sei gut einjährig, die Verwandtschaft mache sich grosse Sorgen um das Kleinkind: «Sie konnte uns ein Foto ihrer Tochter schicken, da sahen wir ihren Zustand: Das Gesicht der Kleinen war ganz geschwollen, überall Blattern, und die Lippen total ausgetrocknet. Sie war wirklich in einem sehr schlimmen Zustand.»
Gemäss dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes IKRK sind in Syrien rund 1600 IS-Verdächtige inhaftiert – achtzig Prozent davon Frauen und Kinder. Dominik Stillhart, Direktor Operationen beim IKRK, verlangt im Interview Lösungen für die Inhaftierten.
Frauen sind dem Nachrichtendienst bekannt
Zu den konkreten Fällen äussert sich das IKRK nicht. Nach Recherchen von «10vor10» sind die drei Frauen den Schweizer Sicherheitsbehörden als sogenannte «Jihad-Reisende» bekannt: Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hatte ihre Ausreise zum IS registriert, die Bundesanwaltschaft in allen drei Fällen Strafverfahren eröffnet.
Das Schweizer Fernsehen hatte bereits über die Hintergründe der Frauen berichtet. So haben die beiden Frauen aus der Region Biel die Schweiz im Sommer 2014 verlassen. Amina (Name geändert), 24, eingebürgerte Tochter tunesischer Einwanderer – ihre Sympathie für den IS war Bekannten schon in der Schweiz aufgefallen. Und Martina (Name geändert), 36, Konvertitin aus einer Schweizer Familie, einst engagiert beim Islamischen Zentralrat der Schweiz.
Befreundet mit terrorverdächtiger Kolumbianerin
Auch die dritte Frau aus der Schweiz ist keine Unbekannte: Selina (Name geändert) ist die Frau des Jihad-Reisenden mit dem Kampfnamen «Abu Wael Al Suissry». Die beiden sind 2015 aus der Schweiz zum IS gezogen. Gegen das Paar aus der Region Lausanne läuft ein Strafverfahren der Bundesanwaltschaft. Der Mann war zeitweise in einer IS-Militärbrigade in Mosul eingeteilt, das belegen Dokumente, über die SRF berichtet hat.
Die 29-jährige Schweizerin aus einer bosnischen Familie war zudem befreundet mit einer IS-Sympathisantin, gegen die inzwischen ebenfalls ein Strafverfahren läuft: Es handelt sich um jene Kolumbianerin, einst wohnhaft in der Westschweiz, der Pläne für Terroranschläge in der Schweiz vorgeworfen werden. «10vor10» hatte mit der Frau ein Interview geführt, bevor sie nach Kolumbien ausgeschafft wurde.
Die in Syrien gefangen genommene Selina wurde offenbar während ihres Aufenthalts im IS-Territorium Mutter. Ihr Kleinkind befindet sich nun offensichtlich ebenfalls in einem der kurdisch geführten Internierungslager für Frauen und Kinder aus dem IS. Der Gesundheitszustand des Kindes ist nicht bekannt.
Kein konsularischer Schutz
Die drei Frauen und das Kind wurden offenbar im Herbst 2017 während der Offensive kurdisch geführter Truppen gegen den IS gefangen genommen. Derzeit befinden sie sich in einer Art Internierungslager im Nordosten Syriens. Dieses Gebiet wird von Kurden kontrolliert, die auch eine Zivilverwaltung aufgebaut haben.
Ob Schweizer Behörden mit den Frauen in Kontakt stehen, ist nicht klar. Das EDA erklärte, von Reisen jeder Art nach Syrien werde abgeraten, konsularischer Schutz für Personen, die diese Hinweise missachteten, könne deshalb nicht geboten werden. Die Möglichkeit, konsularischen Schutz zu leisten, sei nicht abhängig von Geschlecht oder Alter Schweizer Staatsangehöriger, sondern hänge davon ab, ob in einem Land überhaupt konsularischer Schutze gewährt werden könne. Das sei in Syrien nicht der Fall.