In der weissrussischen Hauptstadt Minsk ist der 21-jährige Walliser Tanguy Darbellay im Umfeld der Proteste gegen Wahlfälschung bei der Präsidentschaftswahl verhaftet worden. Das Aussendepartement (EDA) in Bern verfolgt den Fall nach eigenen Angaben «mit hoher Dringlichkeit». Russland-Korrespondentin Luzia Tschirky konnte mit einem Zellennachbarn von Darbellay sprechen.
SRF: Anton Starkow, Sie waren im selben Gefängnis, wie der Schweizer Tanguy Darbellay, gar in derselben Zelle. Was können Sie uns über das Gefängnis sagen?
Anton Starkow: Man nennt es ein Isolationszentrum für Straftäter. Es befindet sich in Minsk. Es ist ein Ort für Personen, die man wegen Administrativ-Vergehen beschuldigt. Eine grosse Zahl von Gefangenen aus Minsk wurde in jener Nacht dorthin gebracht. Und Leute, die wie Tanguy einfach unter die Räder kamen.
Hat Darbellay Ihnen erzählt, warum er im Gefängnis landete?
Wenn ich mich recht erinnere, versuchte Tanguy, nach Hause zu kommen. Er fragte die OMON-Beamten, wo er langgehen soll. Das sind uniformierte Spezialkräfte, die bei Massenveranstaltungen im Einsatz sind. Der erste Beamte sagte: «Du protestierst nicht, du kannst durchgehen». Der zweite durchsuchte seine Tasche. Und der dritte nahm ihn schliesslich fest. Es ist völlig klar, dass Tanguy zur falschen Zeit am falschen Ort war.
War Darbellay unverletzt?
Ja, er war unverletzt. Er wurde sozusagen so «weich wie möglich» festgenommen. Ich vermute, er befindet sich noch immer in der Zelle.
Wissen Sie, weswegen noch immer kein Haftprotokoll erstellt worden ist?
Ich denke, dafür gibt es zwei Gründe. Der erste und wichtigste Grund ist die grosse Zahl der Festgenommenen. Ich glaube, dass in der gesamten modernen Geschichte von Weissrussland noch nie so viele Menschen an einem Tag festgenommen wurden. Es gab nicht genügend Strafverfolgungsbeamte.
Der zweite Grund ist, dass gemäss Gesetzgebung die offizielle Haftzeit erst dann beginnt, wenn das Haftprotokoll erstellt wurde. Wenn ein Protokoll erstellt wird, ohne dass es eine Anklage gibt, können Sie höchstens 24 Stunden festgehalten werden. Bis das Protokoll erstellt wurde, existiert man im juristischen Sinne quasi nicht. Sie können dich also auch auf unbestimmte Zeit in Haft behalten.
Wie gelang es Ihnen, mit der Botschaft Russlands Kontakt aufzunehmen und mit den anderen russischen Diplomaten, die ihnen geholfen haben, freizukommen?
Ich hatte viel Glück. Zunächst gelang es mir, meiner Redaktion zu texten, dass ich festgenommen wurde. Meine Redaktion hatte sich bereits mit unserer diplomatischen Vertretung in Verbindung gesetzt. Und dann konnte ich durch eine sehr glückliche Fügung noch mein Mobiltelefon behalten. Die Zellen waren dermassen überfüllt, dass sie es schlicht nicht geschafft haben, alles genau zu durchsuchen. Darum wurde mein Telefon nicht beschlagnahmt.
Während ich in der Zelle sass, blieb ich die ganze Zeit in Kontakt mit der Redaktion. Dann holte uns unser Konsulat raus. Sie standen in Verbindung mit dem Innenministerium.
Werden Ausländer unter besseren Bedingungen in Gewahrsam gehalten als Einheimische?
Ja, Ausländer bekommen viel bessere Bedingungen. Im Vergleich zu dem, was in den benachbarten Zellen los war, hatten wir sehr viel Glück. Wir wurden nicht geschlagen und nicht beschimpft, nur festgehalten.
Hat man Tanguy Darbellay einen Dolmetscher gestellt?
Nein, er spricht sehr gut Russisch. Er konnte sehr gut verstehen, was man ihm sagte.
Hat man in Ihrer Zelle gehört, wie Weissrussen in anderen Zellen geschlagen wurden?
Ja, das haben wir gehört. Und es war ein sehr harter Umgang seitens der Gefängnisbeamten.
Wurde gegen Sie eine Einreisesperre für Weissrussland ausgesprochen?
Nein, ich habe keine offizielle Einreisesperre bekommen. Ich wurde nicht einmal offiziell deportiert. Ich sollte aber wohl in absehbarer Zeit nicht nach Weissrussland zurückkehren.
Es war die Rede davon, dass viele Journalisten deportiert wurden. Und bei Ihnen liegt nicht einmal ein Protokoll vor, wie ist das möglich?
Ehrlich, ich weiss es nicht. Ich war mir sicher, ich werde deportiert und bekomme fünf Jahre Einreisesperre, mindestens. Aber wahrscheinlich haben die weissrussischen Machtministerien jetzt andere Probleme. Vielleicht haben sie mich einfach vergessen, vielleicht bekomme ich die Einreisesperre später. Vielleicht stehe ich auf irgendeiner Liste von unerwünschten Personen. Da gibt es viele Möglichkeiten.
Das Gespräch führte Luzia Tschirky.
Der Journalist Anton Starkow hat folgende Videobotschaft aus dem Gefängnis schicken können: «Wir sitzen hier seit über sechs Stunden – in dieser Zelle. Wir sind im Zentrum von Minsk festgenommen worden. Wir Russen sind alle in eine Zelle für Ausländer gesteckt worden. Wir warten auf die Unterstützung der Mitarbeiter der russischen Botschaft, um uns hier rauszuholen.»