Eigentlich sollte die achte Runde in den Iran-Atomverhandlungen in Wien die letzte sein. Die entscheidende. Verhandelt wird seit April 2021. Doch die Rettung des historischen Atomabkommens von 2015, das US-Präsident Donald Trump drei Jahre später aufkündigte, ist schwieriger als gedacht. Irans Chefunterhändler Ali Bagheri drückt es farbig aus: Man habe es in Wien weder mit Blumen und Nachtigallen zu tun, noch mit Steinen und Dornen.
Will heissen: Noch ist beides möglich – Durchbruch oder Abbruch. Doch tritt das Abkommen nicht bald wieder in Kraft, ist es ziemlich nutzlos. Denn Teheran ist beinahe eine De-facto-Nuklearmacht. Geheimdienste und Denkfabriken sind überzeugt, das Land könnte binnen eines Monats genügend hoch angereichertes Uran herstellen, um seine erste Atombombe zu bauen.
Akteure schmieden ihren Plan B
Da die Hoffnung auf eine rasche Wiedereinsetzung des Atomabkommens schwindet, werden nun von Washington bis Teheran, von Jerusalem bis Peking Alternativszenarien durchgespielt. Das Londoner Strategieinstitut IISS spricht von «strategischen Plänen B». Ein solcher Plan B sähe aus US-Sicht wohl so aus: Präsident Joe Biden erhöht den politischen Druck auf Teheran und verschärft die Wirtschaftssanktionen.
Washington wird in erster Linie ausländische Firmen und Länder bestrafen, die weiter mit dem Iran Geschäfte betreiben. Dazu gehören nicht zuletzt die Vereinigten Arabischen Emirate, eine Drehscheibe zur Umgehung der Sanktionen. Und China, der wichtigste Abnehmer iranischen Öls. Die USA werden zudem die zaghafte Annäherung der arabischen Golfstaaten zum Iran behindern und darauf hinarbeiten, dass der UNO-Sicherheitsrat die weltweiten Sanktionen wieder verhängt. Selbst ein militärisches Vorgehen gegen den Iran wird wieder erwogen.
Israel wird seine Anstrengungen intensivieren, das Mullah-Regime zu destabilisieren, vor allem mit Sabotageakten und Cyberangriffen. «Luftangriffe auf iranische Atomanlagen» werden als Option geprüft, geplant und gar geübt.
Nutzen des Atomabkommen schwindet
Die Führung in Teheran wiederum plant bereits so, als ob die Wirtschaftssanktionen in Kraft blieben und stellt sich auf eine Résistance-Wirtschaft mit möglichst geringen Importen ein. Die verbliebenen Inspektoren der UNO-Atombehörde IAEA würden aus dem Land geworfen, das Atomprogramm erst recht vorangetrieben, die Schifffahrt im Persischen Golf unsicher gemacht und über verbündete Milizen von der Hisbollah im Libanon bis zu den Houthis im Jemen würde der Druck auf die USA und Israel erhöht.
Gleichzeitig kann sich die iranische Führung darauf verlassen, dass sich weder China noch Russland von ihr abwenden, vielmehr weiterhin Rüstungs- und Ölgeschäfte ermöglichen. All diese Plan-B-Überlegungen bieten keine erfreuliche Perspektive.
Leiden wird die iranische Bevölkerung, leiden wird die Wirtschaft in vielen Ländern. Der ohnehin labile Nahe Osten wird weiter destabilisiert. Die Kriegsgefahr wächst. Das zeigt: Zwar sinkt der Nutzen des Iran-Atomabkommens, je mehr Zeit verrinnt. Aber noch ist dessen Rettung die am wenigsten schlechte Option.