Videoanruf nach Kairo: Elham Eidarouse strahlt in den Bildschirm. Eingeschüchtert wirkt die 41-jährige Ägypterin nicht, aber sie wählt ihre Worte vorsichtig. Einerseits lobt sie den Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi, weil er auf einige Forderungen der Frauenbewegung eingegangen ist.
Tatsächlich vereidigte eine wichtige Justizbehörde im Herbst auf einen Schlag 98 Richterinnen. Andererseits zeigt ihre eigene Geschichte, wie schwierig es ist, in Sisis Ägypten eine Aktivistin zu sein. «Es ist paradox, ich weiss, aber dieses Regime lässt sich nicht so einfach einordnen.»
Backlash nach Sieg der Muslimbrüder
Sie war 31, als 2011 die Revolution, die Langzeitherrscher Hosni Mubarak stürzte, begann. Die Frauenbewegung erlebte damals einen Aufschwung. Doch 2012 gewannen die religiös-konservativen Muslimbrüder die Präsidentschaftswahlen und setzten sogleich die einzige Richterin in Ägypten wieder ab. Die Frauen fühlten sich verraten.
«Feministinnen machten die bittere Erfahrung, dass sich ihr Einsatz für die Revolution nicht auszahlte. Sie bekamen keine neuen Rechte», sagt sie. Die Revolution ging weiter, diesmal gegen die Muslimbrüder. «In der turbulenten Zeit zwischen 2011 und 2013 erlebten wir sexuelle und religiös-motivierte Gewalt wie nie zuvor», sagt Elham Eidarouse.
Zwischen 2011 und 2013 erlebten wir sexuelle und religiös-motivierte Gewalt wie nie zuvor.
Als sich 2013 Sisi an die Macht putschte, versprach er den Frauen bessere Lebensbedingungen. Einige Versprechen hielt er, etwa die Einführung einer Frauenquote für Sozialwohnungen. «Damit kommen geschiedene und verwitwete Frauen mit Kindern zu günstigem Wohnraum.»
Diskriminierung bleibt in Köpfen
Die Regierung sehe auch härtere Strafen für die Genitalverstümmelung bei Frauen vor und für Männer, die ihren Schwestern ihr rechtmässiges Erbe stehlen. Auch sexuelle Belästigung werde härter bestraft.
Mit Gefängnisstrafen alleine liessen sich aber frauendiskriminierende Denkmuster und Gesetze nicht beseitigen, sagt sie. Dazu brauche es soziale Bewegungen. Aber diese unterbindet Präsident Sisi rigoros.
«Unser demokratischer Spielraum wird immer kleiner», so die Aktivistin. 2013 war sie eine der Gründerinnen der «Bread & Freedom Party». Doch acht Jahre später hat die sozialdemokratisch-feministische Partei immer noch keine Lizenz. Dafür bräuchte sie 5000 Mitglieder – sie hat 1000.
Mit einem Bein im Gefängnis
Versammlungsverbote und Zensur erschweren es jungen Parteien, Mitglieder zu gewinnen. «Wenn du die Frauen im Quartier zu einer Versammlung einladen möchtest, kommt sofort die Geheimpolizei – mit Corona erst recht.» Zurzeit seien neun der Mitglieder im Gefängnis.
Ihnen wird vorgeworfen, eine illegale Partei gegründet zu haben. Statt sich um Politik zu kümmern, muss die Partei ihre Kräfte auf die Freilassung ihrer Mitglieder konzentrieren. «Aber wir sind Freiwillige, haben alle Familien und Arbeit – wir haben gar keine Mittel dafür.»
Gegen sie sei ebenfalls ein Verfahren hängig, so Elham Eidarouse. Das heisst, faktisch stehe sie mit einem Bein im Gefängnis. Und wer wolle schon einer Partei beitreten, die Probleme mit der Justiz habe? Sie selbst müsse aufpassen, was sie sage – besonders in den sozialen Medien. Diese sind in Ägypten zwar erlaubt. «Gleichzeitig sind sie der direkteste Weg ins Gefängnis», so die Aktivistin.
Mit solchen Massnahmen bringe Sisi die zivile Gesellschaft – darunter auch die Frauenbewegung – effektiv zum Schweigen. Und trotzdem schweigt Elham Eidarouse nicht ganz: «Etwas Freiraum haben wir noch. Und den versuchen wir zu nutzen – auch wenn das schwierig ist.»