Zum Inhalt springen

Verteidigungstreffen in Prag Wie weiter mit Europas Verteidigung?

Nach Trumps Wiederwahl muss Europa rasch mehr Verantwortung übernehmen – für die Ukraine und für sich selber. Erste Antworten soll ab Freitag in Prag ein hochrangiges Verteidigungstreffen mit Ministern, Generälen, Geheimdienstchefs und Rüstungsindustriellen liefern. Ein Überblick mit dem diplomatischen Korrespondenten Fredy Gsteiger.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Warum muss sich Europa verteidigungspolitisch neu orientieren?

Niemand kann behaupten, die Schicksalsfrage stelle sich überraschend: Wie sorgt Europa langfristig für seine Sicherheit? Längst ist offenkundig, dass man sich nicht ewig derart stark auf die USA verlassen kann. Mit Joe Biden, dem wohl letzten überzeugten Transatlantiker im Weissen Haus, erhielten die Europäer zwar ein paar Jahre Aufschub. Mit Donald Trump wird das Problem jetzt akut.

Was bedeutet das für die Ukraine?

Für die Ukraine sind rasche Antworten am dringlichsten. Die Lage an der Front entwickelt sich von besorgniserregend zu katastrophal. Trump und eine wachsende Zahl europäischer Spitzenpolitiker sprechen von Friedensplänen, meinen damit aber im Grunde die Kapitulation der Ukraine. Übrig bliebe wohl ein von Moskau abhängiger Rumpfstaat.

Was sind die Ziele des Prager Treffens?

In Prag gilt es auszuloten, ob es zu einem solchen Szenario eine Alternative gibt. Etwa indem der europäische Teil der Nato die Ukraine weitaus stärker unterstützt als anhin. Mit noch mehr Geld, noch mehr Waffen, noch mehr Munition und allenfalls gar mit Soldaten. Idealerweise kämen verlässliche Sicherheitsgarantien hinzu. Bloss böte diese einzig ein ukrainischer Nato-Beitritt. Ein solcher ist mit Trump illusorisch.

Ist auch Europa selber bedroht?

Es geht durchaus auch um Europas eigene Sicherheit. Fällt die Ukraine, wären besonders die europäischen Länder im Osten in Gefahr. Mit einem Sieg dürfte der Appetit Moskaus nicht gestillt sein, sondern wachsen. Auch für diesen Fall muss Europa erheblich mehr Verantwortung übernehmen, wenn sich Washington zurückzieht. Das wird teuer, politisch anstrengend und langwierig. Es geht nicht nur darum, die Wehretats weiter zu erhöhen. Es geht auch darum, an der Ostflanke mehr Truppen zu stationieren und die eigene Rüstungsproduktion hochzufahren. In Ansätzen passiert das zwar. Doch es genügt nicht und scheint oft auch nicht nachhaltig. Deshalb müssen die Verteidigungsspitzen in Prag ausloten, was zusätzlich nötig ist. Und was möglich.

Will Europa nicht seit langem eine grössere Rolle spielen?

Ja, zumindest wird das immer gesagt. Deshalb könnte die Missachtung, ja Verachtung, die Trump Europa entgegenbringt, für Europa auch eine Chance sein. Nämlich zu dem zu werden, was man eigentlich sein möchte: ein ernstzunehmender Akteur auf der Weltbühne, nicht nur wirtschaftlich, sondern auch aussen- und sicherheitspolitisch. Dazu bräuchte es zweierlei: Führung und Geschlossenheit.

Wie stehen die Chancen?

Für die Führungsrolle böten sich am ehesten Deutschland oder Frankreich an. Doch in Berlin ist die Regierung am Kollabieren, in Paris ist der Präsident quasi abgehalftert. Dort und in anderen Ländern haben links- und vor allem rechtspopulistische Kräfte Auftrieb, die rein nationalegoistisch denken und einen engeren europäischen Schulterschluss hintertreiben. Trumps Wahl verleiht gerade ihnen weiter Rückenwind. In Prag müsste man rasch umsetzbare Lösungen skizzieren. Doch es sieht ganz danach aus, als fehlten dafür der Wille und die Geschlossenheit. Moskau, Peking, Teheran oder Pjöngjang werden das mit Genugtuung registrieren.

Rendez-vous, 08.11.2024, 12:30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel