Kiew war bei den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union (EU) seit Kriegsbeginn eine der häufigsten Destinationen. Alle haben sie der Ukraine und ihrem Präsidenten Wolodomir Selenski die Aufwartung gemacht. Alle, bis auf Viktor Orban. Der lästerte lieber über die Ukraine und blieb Kiew demonstrativ fern. Bis heute.
Am zweiten Tag der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft war nun auch Orban in der ukrainischen Hauptstadt und besuchte den ukrainischen Präsidenten. Aus ungarischer Sicht ist das nur konsequent.
Es war kein Besuch bei Freunden
Seit Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine bremst Orban immer wieder EU-Sanktionen gegen Moskau; immer wieder stemmt er sich gegen europäische Hilfe an die Ukraine. Und verbal teilte Orban immer wieder heftig aus: Die Ukraine sei ein «Niemandsland», Präsident Selenski ein politischer Gegner.
Als Orban und Selenski vor einigen Monaten in Buenos Aires bei der Amtseinführung des argentinischen Präsidenten aufeinandertrafen, gab es Aufnahmen von einem emotionalen Streit zwischen den beiden.
Ganz anders heute: Die Bilder aus Kiew zeigen einen Staatsbesuch mit dem üblichen Pomp und der üblichen Steifheit.
Zur Motivation für seinen Besuch schrieb Orban auf Facebook, die ungarischen EU-Ratspräsidentschaft wolle zur Lösung der Herausforderungen der EU beitragen. Das ist Politsprech und heisst: erwartet nichts Konkretes.
Dementsprechend ergebnisarm verlief der Besuch: Orban ermutigte den ukrainischen Präsidenten einmal mehr, einen raschen Waffenstillstand mit Russland zu suchen. Selenski antwortete einmal mehr, es brauche einen – Zitat – «fairen Frieden». Erwartet wurden Ansätze für eine Lösung des seit Langem schwelenden Konflikts um den Status der ungarischen Sprache im Westen der Ukraine. Aber auch hier gab es kein Ergebnis.
Konsequent und eigennützig
Und doch hat Orban mit seinem Besuch in Kiew etwas erreicht. Wie so oft hat der ungarische Regierungschef Türen, die nach seinen Provokationen schon zugeschlagen schienen, wieder ein Stück weit geöffnet.
Die Tür zum Nachbarland Ukraine. Aber auch die Tür zu möglichen Verbündeten in der EU. Dort hat sich Orban mit seiner prorussischen Haltung nämlich stark isoliert. Wichtige Rechtsaussenpolitiker wie die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni wollen sich im Europäischen Parlament nicht mit der Orban-Partei verbünden.
Und auch die Tür zum russischen Präsidenten Putin ist nach Orbans Besuch in Kiew keinen Millimeter mehr geschlossen. Der Kreml-Sprecher sagte zu Orbans Kiew-Besuch nur, Ungarn müsse halt die Funktionen der EU-Ratspräsidentschaft erfüllen.
Nach all seinen anti-ukrainischen Voten und Aktionen mag Orbans Reise in die ukrainische Hauptstadt inkonsequent wirken. Doch Orban politisiert sehr konsequent. Konsequent eigennützig.