Das einzigartige Tonarchiv «Voices oft he Holocaust» ist zwar schon seit über zehn Jahren öffentlich zugänglich, doch einer breiten Öffentlichkeit fast unbekannt. Es enthält über 100 Interviews mit Überlebenden des Holocaust. Geführt wurden sie vom amerikanischen Sozialpsychologen David P. Boder, der 1946 kurz nach der Befreiung der Konzentrationslager quer durch Europa gereist war.
Einzigartiges Tonarchiv
Bei den Interviews handelt es sich – mit ganz wenigen Ausnahmen – um die einzigen Tondokumente von Überlebenden aus dieser Zeit. Es sei zudem die weltweit erste Sammlung von akustisch aufgezeichneten Interviews der nationalsozialistischen Verfolgung, erklärt der deutsche Historiker Axel Dossmann von der Universität Jena. Er will das Tonarchiv jetzt mit einem Blog mehr Menschen näherbringen.
Als besonderes Merkmal streicht Dossmann auch die grosse Vielsprachigkeit hervor. Eine europäische und insbesondere osteuropäische Sprachenwelt werde hier hörbar. Zugleich seien viele junge Menschen zu hören, also Überlebende, die ihr Leben noch vor sich hätten. Die schaffe entsprechend eine ganz andere Perspektive als etwa die grossen Video-Interview-Projekte in den USA seit den 1990er-Jahren mit Überlebenden an ihrem Lebensabend.
Erschütternde Zeugnisse
Auffällig ist in den Interviews auch, wie die Überlebenden im Sommer 1946 teilweise enorm sachlich und nüchtern über ihre Erlebnisse berichten. Dossmann erklärt dies unter anderem mit der Traumatisierung, die auch sprachlich und im ganzen Habitus des Erzählens noch deutlich stärker hörbar ist als etwa in den 1990er-Jahren.
Dossmann stellt zugleich fest: «Zum anderen mag es aber auch daran liegen, dass das, was sie gerade noch erlebt haben, für sie unmittelbarer Alltag war und dass es möglicherweise auch in dieser scheinbar neutralen hinnehmenden Art und Weise zur Geltung kommt.»
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Die Befragungen von David P. Boder
Ebenso speziell ist die teilweise fast «verhörähnliche» Interview-Praxis des Sozialpsychologen David P. Boder. «So würden wir heute kein Interview mehr führen. Bider war ein Sprachpsychologe und noch ungeübt in solchen Interview-Techniken», erklärt Dossmann. Auch sei Boder mit sehr wenig Vorwissen in die Interviews gegangen und habe eine chronologische Ordnung gesucht. Da sei er manchmal auf eine irritierende Art und Weise auch starrsinnig und mit wenig hörbarer Empathie vorgegangen.