Videos von Soldaten an der Front oder von ferngesteuerten Drohnen, die einen Panzer zerstören. Es sind Bilder wie aus einem Videospiel. Doch das hier ist bittere Realität in der Ukraine. Es sind Momentaufnahmen vom vermutlich bestdokumentierten Konflikt.
Heute kann jeder mit einem Handy Bilder in Echtzeit ins Internet laden. Das macht den Ukraine-Krieg zum ersten Social-Media-Krieg. Das Internet ist voll mit Kriegsaufnahmen. Wie da den Überblick behalten?
Ich mache immer einen Faktencheck, wenn ich auf Telegram etwas sehe.
SRF-Korrespondent David Nauer nutzt etwa den Messengerdienst Telegram als Informationsquelle. Da gibt es Videos von der Front, Analysen, Breaking News, Meinungsartikel. Viele Nachrichten auf der Plattform sind jedoch von zweifelhaftem Inhalt.
Er rät, die Informationen kritisch zu betrachten: «Ich mache immer einen Faktencheck, wenn ich auf Telegram etwas sehe. Ich schaue erstmal, wie plausibel ist eine Meldung, dann suche ich andere Quellen, die eine Information bestätigen könnten.» Telegram könne als Informationsquelle sehr wertvoll sein, aber man müsse sehr vorsichtig damit umgehen.
Das findet auch Anton Holzer. Er ist Fotohistoriker und hat mehrere Bücher zur Geschichte der Kriegsfotografie und des Fotojournalismus geschrieben. Er warnt: «Die Bilder, die wir heute aus dem Krieg zu sehen bekommen, stammen nur zu einem ganz kleinen Teil von offiziellen akkreditierten Fotografen, sondern ganz oft von Soldaten, von Unbeteiligten, von Zivilisten.» Es sei deshalb wichtig, die Umstände der Entstehung zu kennen. Zum Beispiel Zeitpunkt und Ort der Aufnahme.
Zwar gäbe es viele Möglichkeiten der Fälschung oder der Überarbeitung, viele Aufnahmen würden jedoch eher aus dem Kontext gerissen. Sie geben also vor, Verhältnisse zu zeigen, die unter anderen Umständen entstanden sind. So versuchen die Kriegsparteien unter anderem, die öffentliche Meinung zu beeinflussen.
Kriegsbilder: Fake oder Fakt?
Das war schon vor dem Social-Media-Zeitalter so. Etwa im Ersten Weltkrieg. Schon damals wusste man um die Wirkungsmacht von Kriegsbildern. Für Fotohistoriker Anton Holzer fand während des Ersten Weltkriegs ein grosser Medienumbruch statt. Die Fotografien von vorderster Front wurden in Zeitungen einer breiten Masse zugänglich. Viele Aufnahmen etwa zeigen Soldaten, die aus dem Schützengraben stürmen.
Um echte Kampfhandlungen handelte es sich dabei aber nicht, sagt Holzer: «Diese Bilder sind keineswegs authentische Kriegsbilder. Der Grossteil dieser Bilder ist gar nicht an vorderster Front entstanden, sondern bei Übungen im Hinterland. In der Öffentlichkeit sind diese inszenierten Bilder aber sehr oft als authentische Kriegsbilder verkauft worden und es ist im Nachhinein oft nicht leicht, Fake und Fakt in diesen Bildern zu unterscheiden.»
Echt von unecht unterscheiden, dabei halfen bald professionelle Fotografinnen und Fotografen. Im Spanischen Bürgerkrieg schossen sie Bilder mitten aus dem Kriegsgeschehen. Ein Novum. Gab es bis anhin doch Fotografien nur von vor oder nach der Schlacht. Einer der Waghalsigen war Robert Capa, ein ungarisch-US-amerikanischer Fotograf, der eigentlich Endre Ernő Friedmann hiess. Er war so etwas wie der Indiana Jones der Fotografie. Auf eigene Faust und ohne Auftrag ging er nach Spanien, um den Krieg zu dokumentieren.
Die Idee, dass unabhängige Fotografen den Soldaten aufs Schlachtfeld folgen und Bilder von den Kämpfen schiessen, galt bis dato als verrückt. Capa arbeitete nach dem Grundsatz: «Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran.» Seine Bilder machten ihn zu einem Fotografen der Weltklasse. Besonders die Aufnahme «Fallender Soldat» sorgte für Aufmerksamkeit. Sie zeigt einen Soldaten im Augenblick des Todes.
Die Unmittelbarkeit der Aufnahme stand lange für deren Echtheit. Später kamen jedoch Zweifel auf an der Echtheit des Fotos. Der Vorwurf: Das Bild sei gestellt. Bis heute ist diese Frage ungeklärt.
Die Rolle der Zivilbevölkerung
Doch Krieg – das sind nicht nur Soldaten an der Front. Betroffen sind auch Zivilisten, Frauen, Kinder. Eines der eindrücklichsten Fotos, das das Leiden der Zivilbevölkerung festhält, stammt vom vietnamesisch-amerikanischen Fotografen Nick Út. Das Bild mit dem Titel «Der Schrecken des Krieges» zeigt ein vietnamesisches Mädchen, das nach einem Napalm-Angriff schreiend aus seinem Dorf flieht. 1972 wurde es zum Pressefoto des Jahres gekürt.
Fotohistoriker Anton Holzer sieht darin einen Paradigmenwechsel: «Der Krieg ist, seitdem es Krieg gibt und seit er auch in den Medien Niederschlag findet, ein Krieg der Männer, ein Krieg von Soldaten gegen Soldaten. In der Wirklichkeit war er das nie, weil die Zivilbevölkerung immer Teil des Krieges ist.»
So auch im Ukraine-Krieg. Mit Schrecken reagierte die Welt auf die Bilder aus dem Kiewer Vorort Butscha nach dem Abzug der russischen Truppen. Leichen säumten die Strassen, die Hände zum Teil auf dem Rücken gefesselt. Ein Leichnam lag am Strassenrand, darunter sein Fahrrad.
Fotohistoriker Anton Holzer ist sich sicher, dass solche Fotografien einmal für die juristische Aufarbeitung verwendet werden: «Im Jugoslawienkrieg haben Bilder eine wichtige Rolle gespielt und ich bin mir ganz sicher, – sollte dieser Krieg einmal enden, – werden diese Bilder aus Butscha ganz sicher auch vor Gerichten eine Beweisrolle spielen.»
Kriegsbilder werden immer brutaler
So schrecklich diese Bilder sind – davon gibt es unzählige im Internet. Soldaten im Schützengraben, auf die von einer Drohne eine Granate geworfen wird. Leichname, die von wilden Tieren gefressen werden, weil sie niemand geborgen hat. Oder Soldaten, die sich aus Verzweiflung selbst das Leben nehmen. Auf Sozialen Medien, wie Telegram, fallen Kontrollmechanismen weg, während Medienhäuser Richtlinien haben, was sie zeigen und was nicht.
Wir finden diese Bilder zwar abscheulich, grausam, aber gleichzeitig schauen wir hin. Und wischen dann weiter.
SRF-Korrespondent David Nauer sagt, der Krieg werde in den Sozialen Medien vollkommen ungefiltert gezeigt: «Kameras an modernen Drohnen sind inzwischen so gut, dass man manchmal Soldaten regelrecht ins Gesicht schauen kann, während sie sterben. Es gibt den Effekt, dass man fast schon das Gefühl hat, man sei live dabei bei diesem Krieg.» Für Betrachter könne das sehr belastend sein.
Das gibt auch Fotohistoriker Anton Holzer zu denken: «Wir finden diese Bilder zwar abscheulich, grausam, aber gleichzeitig schauen wir hin. Und wischen dann weiter. Meine Forderung wäre, sich mit diesen Bildern auseinanderzusetzen.» Etwa, indem man sie in einen Kontext setzt: «Man müsste diese Bilder aus dem Smartphone herausholen und sie beispielsweise in einer gedruckten Fotostrecke zeigen oder auch mit kommentierten Anmerkungen versehen oder dann auch vielleicht in einer Ausstellung genauer anschauen.»
Die Bilderflut – sie überfordert. Wie bei einem Puzzle müssen wir uns aus einer Vielzahl von Bildern ein Kriegsbild zusammensetzen. Und genau deshalb scheint es heute schwerer zu sein, sich ein Bild des Krieges zu machen. Dazu kommen die propagandistischen Interessen der Kriegsparteien. Umso wichtiger ist es, genau hinzuschauen.
Autor: Simon Roth