Darum geht es beim EU-Gipfel: Wenn am Donnerstag in Brüssel der EU-Gipfel zur künftigen Flüchtlings- und Migrationspolitik steigt, stehen zwei Szenarien im Vordergrund. Beide sollen die Festung Europa noch sicherer und geschlossener machen, nachdem in den ersten sechs Monaten weniger Migranten und Flüchtlinge Europa erreicht haben.
Ausstiegsplattformen in Afrika: Laut dem ersten Szenario sollen Flüchtlinge im Mittelmeer aufgegriffen, nach Afrika in Lager gebracht und von dort aus verteilt beziehungsweise mit Rückkehrhilfen zur Heimkehr veranlasst werden. Das ist ein grundsätzlicher Unterschied zur heutigen Lösung, bei der die im Mittelmeer Geretteten nach Europa gebracht werden. Nun denkt die EU über so genannte Ausstiegsplattformen in nordafrikanischen Ländern nach. Im neuesten Entwurf der Beschlüsse für den kommenden Gipfel steht, dass die Staats- und Regierungschefs die Entwicklung solcher Plattformen unterstützen.
Knackpunkt Menschenrechte: Eine heikle Frage betrifft die Rechte der auf dem Meer Geretteten, wie SRF-Brüssel-Korrespondent Oliver Washington darlegt. Ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte aus dem Jahr 2012 stellt fest: Gerettete sind ab dem Moment der Rettung in der Hoheitsgewalt des rettenden Staates, beispielsweise Italien, und dürfen dort ein Asylgesuch stellen.
Sie haben das Recht auf ein faires Verfahren. Und weil Italien ein solches Verfahren auf dem Meer nicht garantieren könne, dürfen die Menschen nicht zurückgebracht werden.
Bedenken auch in der EU-Kommission: Die Experten des Deutschen Instituts für Menschenrechte sehen diesen Grundsatz auch auf die heutige Lage übertragbar. Das würde es den europäischen Staaten also verbieten, gerettete Menschen nach Afrika zurückzubringen. «Ich habe erfahren, dass auch die EU-Kommission grosse Bedenken hat, sollten Europäer Menschen zurückschaffen», sagt Washington.
Auslagern und zahlen: Wer also würde künftig die Menschen retten, wenn nicht Europa? Die EU-Kommission ist zurzeit daran, ein Konzept zu entwickeln und die rechtlichen Fragen definitiv zu beantworten. «Offenbar geht es dabei darum, eben diese Aufgaben auszulagern. Denn was die EU nicht darf, ist für die libysche, tunesische oder auch die marokkanische Küstenwache nicht verboten», so Washington. Sie können Menschen retten und in Lager nach Afrika bringen.
Im neuesten Entwurf der Gipfelbeschlüsse wird denn auch explizit festgestellt, dass die Zusammenarbeit mit Libyen und Marokko weiter intensiviert werden soll, vor allem finanziell. Es wird hier um einen grossen Betrag gehen, auch wenn der Entwurf darüber noch schweigt.
Geschlossene Lager in Europa: Das zweite Szenario stammt von Frankreich und Spanien und will Migranten, die es trotz allem nach Europa schaffen, in geschlossene Lager bringen und von dort aus auf Europa verteilen. Auch hier stelle sich die Frage, ob Menschen, die nach Europa kommen und ihr Recht auf ein Asylgesuch wahrnehmen, einfach eingesperrt werden dürfen, erklärt Washington. Das deutsche Menschenrechtsinstitut habe grosse Bedenken. Selbst die EU-Kommission stelle fest, dass dies eigentlich nur in begründeten Ausnahmefällen möglich sei.
Verteilungsproblematik bleibt: Obwohl dies dem Grundgedanken von Frankreich und Spanien widerspricht, verfolgt die Kommission die Idee von Frankreich und Spanien weiter. Auch dazu wird ein Konzept entwickelt: Die so genannten Wirtschaftsflüchtlinge würden dann von diesen Zentren in ihre Heimat zurückgebracht, jene mit einem Recht auf Asyl würden auf die EU-Mitgliedstaaten verteilt.
Gesamteuropäische Lösung nicht in Sicht: Da aber die Solidarität unter den EU-Staaten diesbezüglich weiterhin fehlt, zeigt die aktuelle Diskussion, wohin die Reise wohl gehen wird: Die Aussengrenze soll so dicht wie möglich gemacht werden. Im innereuropäischen Bereich wird es schwieriger: Wenn Lösungen im Rahmen der 28 nicht möglich sind, sucht man sich die Willigen und einen neuen, anderen Rahmen. «Das ist bemerkenswert, weil es dann eigentlich keine gesamteuropäischen Lösungen mehr gibt», so Washington.