Besonders erfolgreich ist Eric Zemmours Werben bisher bei der Delegation des Rassemblement National im Europäischen Parlament. Mitte Januar meldete sich der Fraktionschef der Rassemblement-National-Delegation bei Marine Le Pen ab. Zemmour ernannte ihn umgehend zum Vizepräsidenten und Sprecher seiner neuen Partei «La Reconquête».
Dann wechselte der prominente EU-Abgeordnete und Staranwalt Gilbert Collard zu Zemmour und wurde von dessen Anhängern an einer Wahlveranstaltung in Cannes stürmisch gefeiert: Er wolle Zemmour unterstützen, weil dieser politisch Klartext rede und keinen Bogen um heikle Fragen mache, wie andere Politikerinnen und Politiker. «Das gibt mir neue Hoffnung», sagte Collard.
Nun vollzieht Collard einen Salto rückwärts: Wenn er Zemmour für politischen Klartext lobt, ist dies auch eine Kritik an der einstigen politischen Weggefährtin Le Pen – ohne dass er sie beim Namen nennt.
Le Pen reagierte umgehend an ihrer traditionellen Pressekonferenz zum Jahresanfang: Das Rassemblement National habe definitiv mit dem provokativen Politikstil gebrochen, der einst das Markenzeichen der Vorgängerpartei Front National war.
Provokationen, die sie heute als Beleg für politische Unreife bezeichnet. Dies ist sowohl ein Seitenhieb gegen den politischen Konkurrenten Zemmour, der selten eine Provokation auslässt, als auch ein Ordnungsruf an die eigene Partei. Denn Le Pen weiss wohl sehr genau, dass viele ihrer Anhängerinnen und Anhänger diesen rauen Politikstil vermissen.
Innerhalb der Le-Pen-Partei wachsen offenbar auch die Zweifel, dass die Chefin eine Stichwahl gegen Präsident Macron gewinnen könne. Diese gibt es offenbar sogar im engeren Führungszirkel des Rassemblement National. An diese Zweifler richtete Le Pen Anfang dieser Woche eine klare Botschaft: Wer gehen wolle, solle gehen – aber sofort. So kurz vor der Wahl wolle sie sich nicht länger mit Leuten umgeben, die ihre Unterstützung nur heucheln würden. Dies sei sie auch ihrer Basis und den Wählerinnen und Wählern schuldig.
Abwanderung der Kaltgestellten
Dass Le Pen ein Teil der eigenen Basis abhandenkomme, habe viel mit der Struktur des Rassemblement National zu tun, sagt Sylvain Crépon, Politologe an der Universität Tours. Die Leute, die jetzt abgesprungen seien oder als unsichere Helfer gelten würden, seien früher parteiintern kaltgestellt worden und darum frustriert. Im Rassemblement National könne nur Karriere machen, wer vollkommen loyal zur Präsidentin sei.
Politologe Crépon beobachtet die Le-Pen-Partei seit Jahren: Bisher sei Marine Le Pen auf der französischen Politikbühne als Anti-System-Politikerin ohne Konkurrenz gewesen. Nun mache ihr Zemmour die Rolle streitig. Denn im Inhalt ihrer identitären-nationalistischen Politik gebe es kaum Unterschiede.
Zemmour fischt im gleichen Becken
Le Pen stehe darum vor einem doppelten Problem: Ihre eigenen Parteikader sähen in Eric Zemmour inzwischen eine Alternative. Dies schwäche Le Pens Kontrolle über die Partei. Zudem ziehe Zemmour auch die gleichen Wählerinnen und Wähler an, sagt Crépon.
Nach Umfragen liegt Le Pen derzeit zwar noch vor Zemmour – aber dies ist nicht der wichtigste Faktor. Die neue Konkurrenz im rechtsextremen Spektrum könnte Le Pen so viele Stimmen kosten, dass sie diesmal im ersten Wahlgang nur auf Platz 3 landen und so den Einzug in die Stichwahl verpassen könnte.