Das Vermächtnis: Nelson Mandela war nicht nur der erste schwarze Präsident Südafrikas – er hat das Land auch aus der Apartheid in die Demokratie geführt. Leonie March, freie Journalistin in Südafrika, sagt, Mandela habe als «Vater der Nation» das «Fundament für ein demokratisches Südafrika gegossen». Das Land sei stark geprägt durch seine Persönlichkeit, seine Versöhnungspolitik und seine Vision einer «Regenbogennation», in der alle friedlich zusammenleben, die gleichen Chancen haben und es keinen Rassismus mehr gibt. Diese Ideale seien während seiner Amtszeit auch in die Verfassung geflossen, eine der liberalsten und modernsten der Welt. Für viele in Südafrika bleibt Mandela ein Symbol der Freiheit und der Hoffnung – und auch ein Vorbild.
Die gescheiterte Vision: Der ANC regiert seit mittlerweile fast 30 Jahren mit absoluter Mehrheit. Und die Bilanz ist ernüchternd: «Alle dachten, wenn Mandela an die Macht kommt, wird alles mit einem Schlag besser», so Journalistin Leonie March. Stattdessen grassieren seit Jahren Misswirtschaft und Korruption. «Von Mandelas Idealen ist nicht viel übrig», hält Leonie March fest. Es herrsche eine politische Elite mit einer Selbstbedienungsmentalität. Diese kümmere es nicht, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Armut lebe, mit täglichen Stromausfällen oder mit Plumpsklos in den Schulen. Wegbegleiter und politische Beobachter sagen auch, Mandela wäre über die jetzige Situation enttäuscht.
-
Bild 1 von 4. Eine Ikone ist tot: Am 6. Dezember 2013 waren die Zeitungen in Südafrika nur Nelson Mandela gewidmet. Der ehemalige Präsident hatte monatelang an einer Lungenentzündung gelitten und war 95-jährig daran verstorben. Bildquelle: REUTERS/Mark Wessels .
-
Bild 2 von 4. Nelson Mandela 2008 bei einem Anlass in Kliptown in der Nähe von Johannesburg. Bildquelle: REUTERS/Mike Hutchings.
-
Bild 3 von 4. Nelson Mandela 2004 im Büro einer seiner Stiftungen in Johannesburg. Bildquelle: REUTERS/Mike Hutchings.
-
Bild 4 von 4. Nelson Mandela und seine Ex-Frau Winnie waren das Symbol der Befreiung Südafrikas von der Apartheid. Ihnen zu Ehren wurden diese zwei Statuen beim Ort «The Long March to Freedom» errichtet. Bildquelle: REUTERS/Esa Alexander.
Die Kritiker: Journalistin Leonie March sagt, Mandela werde von vielen Südafrikanerinnen und Südafrikanern wie ein Heiliger verehrt – doch es gebe auch immer mehr Südafrikanerinnen und Südafrikaner, vor allem jüngere, die Mandela für die jetzige Situation verantwortlich machten. Im Zuge seiner Versöhnungspolitik sei er zu viele Kompromisse eingegangen. Die weissen Täter von damals seien nicht zur Rechenschaft gezogen worden und hätten beispielsweise auch ihr Land und ihre Unternehmen behalten dürfen. Somit sei eine gerechte Umverteilung bis heute ein unerreichtes Ziel.
Die Erben: Mit Mandelas Abgang als Präsident 1999 ging es politisch und wirtschaftlich stetig bergab mit Südafrika. Sein direkter Nachfolger Thabo Mbeki hatte geleugnet, dass das HI-Virus mit Aids zusammenhängt und liess in Südafrika keine Aidsmedikamente zu. Laut einer Studie ist das für Hunderttausende Tote verantwortlich. Nach Mbeki kam Jacob Zuma an die Macht. Ihm wird Ausbeutung des Staats durch Machtmissbrauch vorgeworfen – er stand deshalb immer wieder vor Gericht, ein Prozess mit möglicher Verurteilung wird jedoch immer wieder vertagt. Die Hoffnung auf seinen Nachfolger Cyril Ramaphosa war 2018 gross. Doch auch er konnte der Selbstbereicherung innerhalb des ANC kein Ende setzen, obwohl er sich um Reformen bemühte.
Der Weg aus dem Heldenkult: Der Mythos um Nelson Mandela habe Südafrika zweifellos geholfen, so Leonie March. Doch er könne auch lähmend wirken. Nelson Mandela habe selbst gesagt, man solle den ANC entmachten, sobald er die Leute gleich behandle, wie dies die Apartheid getan habe. «Ich glaube, an diesem Punkt ist Südafrika angekommen», so Leonie March. 2024 sind Wahlen, und der ANC könnte erstmals die absolute Mehrheit verlieren und dann gezwungen sein, mit kleineren Parteien zu koalieren. «Es braucht Menschen, die wirklich wieder am Land interessiert sind und nicht nur an ihrem eigenen Reichtum», so Leonie March.