In Guatemala herrscht Chaos statt Wahlkampf: Sandra Torres, die eine Kandidatin für die Stichwahl im August, hat ihre Kampagne vorderhand eingestellt. Sie mache dies aus Solidarität mit ihrem Gegner Bernardo Arévalo, weil dessen Partei von der Wahl ausgeschlossen wurde.
Bereits im Vorfeld hatten Kritiker der Regierung vorgeworfen, widerrechtlich gegen oppositionelle Kandidatinnen und Kandidaten vorzugehen, nachdem drei Anwärter vorab ausgeschlossen worden waren.
Die Vorgänge im mittelamerikanischen Land mögen für Aussenstehende undurchsichtig sein. Mit Blick auf die tiefen gesellschaftlichen und politischen Gräben werden sie aber verständlicher. Die Mehrheit der rund 17 Millionen Menschen im Land lebt in bitterer Armut. «Es handelt sich dabei vor allem um indigene Völker, die auch ihre indigenen Sprachen haben», erklärt SRF-Auslandredaktor Franco Battel.
Elite will das Drehbuch bestimmen
Seit jeher sind sie von der Macht ausgeschlossen: Über die Geschicke im Land entscheidet die reiche, meist spanischstämmige Oberschicht, die in der Hauptstadt (Guatemala-Stadt) lebt. Diese Elite würde in der Regel auch bestimmen, wer Präsident oder Präsidentin wird, führt Battel aus.
Diesmal folgte das Präsidentschaftsrennen allerdings nicht ihrem Drehbuch. Prompt entschied ein Richter, dass Bernardo Arévalo suspendiert wird. Begründung: Es habe «Unregelmässigkeiten» bei der Registrierung von Mitgliedern seiner Partei gegeben.
Wenn Arévalo von der Wahl ausgeschlossen wird, käme das einer Art Staatsstreich gleich.
Für Battel ist das Urteil eine Farce. «Arévalo ist ein Kandidat, der nicht von der kleinen herrschenden Elite aufgestellt wurde. Sie versucht nun, ihn mit allen Mitteln von der Wahl auszuschliessen.» Damit soll sichergestellt werden, dass seine Herausforderin Sandra Torres gewinnt. «Ihr eilt der zweifelhafte Ruf voraus, eher zu tun, was die Elite will.»
Konkret: Die illegalen Geschäfte der allmächtigen Oberschicht in Guatemala sollen weiterhin von der Staatsführung gedeckt und die Justiz zurückgebunden werden.
Für Beobachterinnen und Beobachter ist die Demokratie im Land in Gefahr. Das sieht auch Battel so. «Wenn Arévalo von der Wahl ausgeschlossen wird, gäbe es dafür keine gesetzliche Grundlage. Das würde einer Art Staatsstreich gleichkommen.»
Die neueste Wendung im unwürdigen Schauspiel: Das Höchste Gericht hat in der Nacht verfügt, der Ausschluss von Arévalo sei nicht rechtens. Wie es nun weitergeht, bleibt abzuwarten. Klar ist für Battel: «Die kleine, regierende Schicht tut alles, um Arévalo zu verhindern.» Ebenso klar sei aber, dass es im Land Widerstand gegen diesen Coup gebe.
Kleines, aber nicht unbedeutendes Land
Angesichts der politischen Krise hat sich auch die EU besorgt geäussert. Mit Blick auf die anstehende Stichwahl am 20. August forderte die EU in Brüssel die Institutionen des mittelamerikanischen Landes auf, das Ergebnis des ersten Durchgangs zu respektieren. «Die EU ist tief besorgt über die anhaltenden Versuche, die Integrität der Wahlergebnisse zu untergraben», hiess es in einer Erklärung.
Auch die USA beobachten die Vorgänge mit Argusaugen. Denn über Guatemala wird ein Teil der Drogen geschleust, die nach Nordamerika gelangen. Zudem liegt das Land auf der Flüchtlingsroute Richtung USA. «Darum wollen die USA ein möglichst stabiles Guatemala. Sie haben kein Interesse daran, dass die dortige Elite das Land mit einem Staatsstreich ins Chaos treibt», schliesst Battel.