Die Nato scheint mit 75 attraktiv zu sein wie nie zuvor. Die Furcht vor dem russischen Präsidenten Wladimir Putin lässt die Zahl der Mitgliedstaaten und die Verteidigungsausgaben in die Höhe schnellen.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg wirbt für das «erfolgreichste Verteidigungsbündnis der Geschichte». Und tatsächlich: In den vergangenen 75 Jahren hat es kein Staat gewagt, die Nato militärisch anzugreifen. Der einzige Angriff, den die Nato als solchen einstufte, waren die Terroranschläge gegen die USA 2001.
Wachsende Zweifel
Da und dort wachsen nun aber die Zweifel, ob die Nato ihren Daseinszweck im Falle eines Angriffs wirklich erfüllen würde, sprich: ob sich die 32 Mitgliedstaaten militärisch beistehen würden. Das nämlich verlangt Artikel 5 des Nato-Vertrags.
Die Zweifel betreffen vor allem die USA, den mit Abstand wichtigsten Mitgliedstaat – und sie erinnern an die Gründungsgeschichte der Nato. 1949 unterzeichneten die USA, Kanada und westeuropäische Staaten den Nato-Vertrag als Allianz gegen die Sowjetunion mit Diktator Josef Stalin, gegen den Kommunismus in Europa.
Viele Westeuropäer fürchteten sich schon damals davor, von den USA im Stich gelassen zu werden. Für den ersten Nato-Generalsekretär Hastings Ismay, einen Briten, ging es darum, «die Sowjetunion draussen, die Amerikaner drinnen» zu halten.
Wichtiges Machtinstrument der USA
Die Amerikaner mussten sich bald nicht mehr bitten lassen. Die Nato wurde für sie zum wichtigen Machtinstrument im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion, nach deren Untergang auch im Kampf gegen den Terrorismus.
Umstritten war dann allerdings die Osterweiterung der Nato ab 1999. Nicht alle in den USA begeisterten sich für die Aufnahme ehemaliger Verbündeter der Sowjetunion, manche fürchteten sich vor der Reaktion des Nachfolgestaats Russland.
Es waren die Beitrittsstaaten selbst, die sich am vehementesten für die Aufnahme starkmachten. Denn sie misstrauten Russland. Und sie sehen sich heute, nach den Angriffen Russlands gegen Georgien und die Ukraine, in ihrem Misstrauen bestätigt.
Bleibt die Abschreckungsgefahr?
Zum 75. Nato-Geburtstag gibt der amerikanische Ex- und Vielleicht-bald-wieder-Präsident Donald Trump auch dem alten Misstrauen gegenüber den USA neue Nahrung. Zumal Trump im Wahlkampf die eigentlich bedingungslose Beistandspflicht an Bedingungen knüpft. Nur wer in der Nato genug für die Verteidigung ausgebe, werde auf seine Unterstützung zählen können.
Nicht nur in Osteuropa fürchten viele, Putin könnte versucht sein, die Nato auf die Probe zu stellen. In einem solchen Szenario würde Russland mit einem Blitzangriff gegen einen Nato-Staat herausfinden wollen, ob die USA und die anderen 30 Nato-Staaten dem Angegriffenen auch wirklich zu Hilfe eilen.
Egal, wie ein solcher Angriff ausgehen würde: Der Erfolg der Nato wäre arg beschädigt. Denn dieser misst sich an der Abschreckungskraft, daran, dass noch nie jemand auf die Idee gekommen ist, das Bündnis anzugreifen.
Die Aussenministerinnen und Aussenminister feiern den 75. Nato-Geburtstag heute mit einer Zeremonie in Brüssel – im Wissen darum, dass Trump oder Putin der Partystimmung in den kommenden Jahren ein jähes Ende bereiten könnten.