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Waffenruhe in Nahost Wie es im Gazastreifen nun weitergeht

Am Sonntagmorgen tritt die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas in Kraft. Was das genau heisst.

Darum geht es: Nach Israels Sicherheitskabinett stimmte auch die gesamte Regierung des Landes nach siebenstündiger Sitzung für die Vereinbarung mit der Hamas, wie das Büro von Ministerpräsident Netanjahu in der Nacht auf Samstag mitteilte. Das Abkommen tritt am Sonntagmorgen um 8:30 Uhr Ortszeit (07:30 Uhr MEZ) in Kraft.

24 Minister für Abkommen, 8 dagegen

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Trotz des Widerstands rechtsextremer Koalitionspartner war erwartet worden, dass sich eine Mehrheit der Regierung für das mehrstufige Abkommen ausspricht. Der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir hatte Medien zufolge an andere Mitglieder des Bündnisses appelliert, dagegen zu stimmen – und damit gedroht, die Koalition im Fall einer Billigung des Abkommens zu verlassen. Laut israelischen Medien stimmten am Ende 24 Minister für den Deal, acht dagegen.

Waffenruhe in drei Phasen: Die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas ist in drei Phasen unterteilt. In der ersten Phase, die 42 Tage lang geht, sollen 33 von 98 israelischen Geiseln freikommen. Im Gegenzug wird Israel 1904 Palästinenser aus Gefängnissen und Lagern entlassen. Das erklärte das israelische Justizministerium am Samstag. Es veröffentlichte am Freitag eine Liste mit 95 am Sonntag freikommenden palästinensischen Gefängnisinsassen. Die Liste umfasst die Namen von 69 Frauen, 16 Männern und zehn Minderjährigen, darunter ein 16-Jähriger. Die Details der zweiten und dritten Phase des Abkommens über ein dauerhaftes Ende des Kriegs und einen kompletten Abzug Israels aus dem Gazastreifen wollen die Konfliktparteien während der ersten Phase klären.

Das sind die gefangenen Palästinenser

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Israel wird in der ersten Phase 1904 Palästinenser und Palästinenserinnen aus israelischen Gefängnissen und Lagern entlassen. Bei 1167 Palästinensern handelt es sich um festgenommene Bewohner des Gazastreifens, die nicht an dem Massaker vom 7. Oktober 2023 beteiligt waren, teilte die israelische Regierung mit.

Die anderen 737 freizulassenden Palästinenser sind Häftlinge, die wegen leichterer Delikte wie Steinwürfe im Westjordanland oder illegalem Grenzübertritt sowie auch illegalen Waffenbesitzes oder anderer Gesetzesverstösse inhaftiert oder verurteilt wurden. Darunter sind aber auch Häftlinge, die wegen schwerer Straftaten wie etwa Mord einsitzen.

Die Zeitung «Jerusalem Post» berichtete, dazu gehöre etwa Sacharia Subaidi. Er war während des zweiten Palästinenseraufstands Intifada ab 2000 Befehlshaber des militärischen Arms der Fatah-Bewegung, der Al-Aksa-Brigaden, in Dschenin im nördlichen Westjordanland. Dabei wurden von 2000 bis 2005 rund 3500 Palästinenser getötet, mehr als 1000 Israelis starben bei Anschlägen von Palästinensern.

Auf der Liste der freizulassenden Häftlinge stand auch Mahmud Atallah, der eine lebenslange Haftstrafe plus 15 Jahre für die Ermordung einer Palästinenserin verbüsst, die der Kollaboration mit Israel beschuldigt wurde.

Weitere Namen umfassen Wael Kassem und Wisam Abbasi, die an Bombenanschlägen in Israel mit Dutzenden Toten beteiligt gewesen sein sollen. Das israelische Justizministerium veröffentlichte eine Liste mit insgesamt 22 Häftlingen, denen schwere Angriffe auf Israelis vorgeworfen werden.

Nicht freigelassen werden soll hingegen der prominenteste palästinensische Häftling in Israel, Marwan Barghuti aus der Führungsebene der Fatah-Bewegung. Er war 2004 wegen fünffachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden.

So stabil ist das Abkommen: Die intensiven Verhandlungen der vergangenen Tage haben gezeigt, wie heikel das Gesamtpaket ist. Netanjahu teilte erst am frühen Freitag mit, dass eine Einigung erzielt worden sei – fast zwei Tage, nachdem der Vermittlerstaat Katar eine solche eigentlich bereits verkündet hatte. Angesichts des tiefen Misstrauens ist offen, ob sich Israels Regierung und die Hamas über Wochen an die vereinbarten Schritte halten werden und ob zum Beispiel bestimmte Passagen jeweils anders ausgelegt werden. Der Ausgang der Verhandlungen ist denn auch ungewiss. So müssen sich beide Kriegsparteien unter anderem noch über die Listen der restlichen freizulassenden Hamas-Geiseln sowie der von Israel freizulassenden Häftlinge einigen.

Öffnung des Grenzübergangs: Die Vorbereitungen zur Öffnung des Grenzübergangs Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen laufen laut ägyptischen Sicherheitsquellen auf Hochtouren. Demnach wird intensiv daran gearbeitet, Strassen und Einrichtungen am Grenzübergang instand zu setzen. Dutzende Lastwagen stünden bereit, um Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. Insgesamt wurden nach Angaben des Ägyptischen Roten Halbmonds rund 600 LKW vorbereitet. Die palästinensische Seite des Grenzübergangs wird seit Mai letzten Jahres von Israels Armee kontrolliert. Spitäler im Nord-Sinai bereiteten sich derweil auf die Aufnahme verletzter Palästinenser vor. Rund 50 Krankenwagen sollen ab heute zum Grenzübergang entsandt werden.

Ein Mädchen kämpft in Chan Yunis um Essen.
Legende: Ein Mädchen kämpft in Chan Yunis um Essen (17.01.2025). Reuters/Hatem Khaled

Wenn das Abkommen scheitert: Sollte das Abkommen scheitern, könnten die Kämpfe erneut ausbrechen – zumal es auf beiden Seiten Befürworter einer Fortsetzung des Kriegs gibt. So könnte sich Israels Ministerpräsident Netanjahu dafür entscheiden, nach der ersten Phase aus dem Abkommen auszusteigen, um den Zusammenbruch seiner Regierungskoalition zu vermeiden, sagte Daniel Levy, ein früherer israelischer Regierungsbeamter und Verhandlungsführer dem «Wall Street Journal». Laut der US-Nachrichtenseite «Axios» soll Netanjahu beim Treffen des Sicherheitskabinetts gesagt haben, die USA hätten ihm für den Fall, dass die weiteren Verhandlungen scheitern, Unterstützung für die Fortsetzung des Kriegs zugesichert. Die US-Nachrichtenseite berief sich dabei auf einen Vertrauten Netanjahus.

SRF 4 News, 18.1.2025, 7 Uhr ; 

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