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Wahl des Unterhauses Das Volk straft Japans Ministerpräsidenten Ishiba und die LDP ab

Anfang des Monats hatte der neu ernannte japanische Ministerpräsident Shigeru Ishiba voller Selbstvertrauen das Unterhaus aufgelöst und vorgezogene Neuwahlen ausgerufen. Er hoffte auf einen Neuanfang: Die Altlasten seiner Regierungspartei seien aufgearbeitet, und daher könne man der neuen Regierung und der Liberaldemokratischen Partei wieder voll vertrauen, so Ishiba. Doch er hat die Rechnung ohne die Wählerinnen und Wähler gemacht.

Wählerinnen und Wähler wollen Resultate sehen

Vielen Japanerinnen und Japanern ging die Aufarbeitung der umstrittenen Parteifinanzierung, die beschlossenen Massnahmen und die Versprechen der LDP nicht weit genug. Die Bevölkerung wollte Taten sehen und nicht nur schöne Worte hören.

Was die Menschen derzeit vor allem beschäftigt, ist die Teuerung. Die Lebenshaltungskosten sind in den vergangenen Monaten deutlich gestiegen. Auf Lösungen der Regierung warten die Menschen bisher vergeblich. Dies, zusammen mit dem Bekanntwerden geheimer Kassen bei der LDP, von denen zahlreiche Abgeordnete profitiert haben, lieferte genügend Zündstoff für den Wählerfrust. Die LDP verliert nicht nur die alleinige Mehrheit im Unterhaus: auch zusammen mit dem Regierungspartner Komeito reicht es nicht mehr. Dies ist ein politisches Erdbeben in Japan, regiert die LDP doch seit 1955 fast ununterbrochen.

Unklare Zeiten

Der 67-jährige Ishiba sitzt seit 1986 im Parlament und gilt als alter Polithase. Er war unter anderem Verteidigungsminister und Generalsekretär der Partei, bevor er Ende September Parteichef der LDP und am 1. Oktober neuer Ministerpräsident wurde. Ein Politiker mit dieser Erfahrung hätte die Lage besser einschätzen müssen, sollte man meinen.

Ishiba verfügte mit seiner LDP im alten Unterhaus über eine komfortable Mehrheit. Er hätte also seine Politik ohne grossen Widerstand bis zu den ordentlichen Wahlen umsetzen können. Wie Ishiba aus dem jetzigen Schlamassel herauskommen will, ist noch unklar. Er hat zwar angekündigt, seine Regierungskoalition aus LDP und Komeito weiterzuführen und je nach Thema zusätzlich mit anderen Parteien und Abgeordneten zusammenarbeiten zu wollen. Dies könnte aber ein schwieriges Unterfangen werden.

Druck auf Ishiba steigt

Ishiba verfügt auch in seiner eigenen Partei nicht über einen uneingeschränkten Rückhalt. Die LDP ist heute nicht mehr so geschlossen wie noch vor einigen Jahren. Es gibt verschiedene Strömungen und Seilschaften innerhalb der Partei. Der Druck auf Ishiba wird daher auch innerhalb der Partei steigen.

Sollte Ishiba nicht bald konkrete Resultate vorzeigen können, wird er sich wohl nicht lange als Ministerpräsident und Präsident der LDP halten können. Denn im kommenden Jahr stehen erneut Wahlen an. Die Hälfte der Sitze des Oberhauses wird dann neu bestellt. Hier verfügt die Regierungskoalition von LDP und Komeito nur über eine knappe Mehrheit.

Thomas Stalder

Japan-Korrespondent

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Thomas Stalder ist als Korrespondent für SRF in Japan tätig.

 

Tagesschau, 27.10.2024, 19:30 Uhr

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