Für Januar hat Langzeitherrscher Alexander Lukaschenko Präsidentschaftswahlen in Belarus anberaumt. Proteste wie vor vier Jahren werde er nicht mehr zulassen, teilte er sogleich mit. Dass Lukaschenko an der Macht bleiben wird, dürfte unstrittig sein. Belarus-Analystin Olga Dryndova erklärt, warum er überhaupt wählen lässt.
SRF News: Was verspricht sich Lukaschenko von den Wahlen?
Olga Dryndova: Wahlen in Belarus haben inzwischen eine andere Funktion als noch 2020. Es geht nicht mehr darum, eine demokratische Fassade mit mehreren Parteien und einer aktiven Beteiligung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Heute dienen Wahlen als stabilisierender Faktor für die Regierung in Minsk.
Fürchtet sich Lukaschenko vor der Opposition, wenn er bereits ankündigt, dass diesmal keine Proteste mehr geduldet werden?
Die Repressionswelle, die im Sommer 2020 begonnen hat, dauert immer noch an. Es fragt sich allerdings, gegen welche Elemente und Strukturen Lukaschenko noch ankämpft. Die meisten der damaligen Aktivisten sitzen noch immer in Haft oder haben das Land verlassen. Und der Rest ist zu verängstigt, um sich politisch zu engagieren. Das Regime hat Angst vor den Bürgerinnen und Bürgern, die noch immer gegen Lukaschenko sind. Es gibt aber keine Strukturen mehr in Belarus, die Proteste organisieren könnten.
Gleichzeitig haben sich die demokratischen Strukturen auch weiterentwickelt. Tichanowskaja führt den sogenannten «Koordinierungsrat» an. Dieser betrachtet sich als Parlament im Exil und hat zuletzt auch digitale Wahlen organisiert.
Für einen Post auf Facebook oder Telegram kann man heute für mehrere Jahre ins Gefängnis kommen.
Diese demokratischen Kräfte geniessen immer noch relativ hohe internationale Anerkennung. Allerdings ist es auch schwieriger für sie geworden, Belarus auf der politischen Agenda zu halten. Vor allem die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten haben das Thema überschattet. Zudem ist klar geworden, dass es keinen schnellen Machtwechsel in Belarus geben wird. Die Opposition wird noch weit länger aus dem Exil heraus agieren müssen als ursprünglich geplant.
Erreicht die Exil-Opposition die Menschen in Belarus überhaupt?
Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Die Opposition versucht natürlich, die Menschen im Land zu erreichen. Ihr Hauptpublikum ist aber die belarussische Zivilgesellschaft im Exil und vor allem auch die westliche Politik.
Die politische Situation in Belarus ist nicht davon zu trennen, was mit dem Krieg in der Ukraine passiert.
Für die Menschen in Belarus kann es auch gefährlich sein, mit der Opposition im Exil zu kommunizieren. Für einen Post auf Facebook oder Telegram kann man heute für mehrere Jahre ins Gefängnis kommen. Dazu kommt, dass sich die belarussische Gesellschaft derzeit unter massivem Einfluss der russischen Staatsmedien befindet. Zugang zu unabhängigen Medien haben die Menschen kaum.
Lukaschenko ist inzwischen 70 Jahre alt. Trifft er Vorkehrungen für die Zeit nach ihm?
2022 liess er ein nicht demokratisch abgestütztes Referendum durchführen, mit dem ein neues Machtorgan eingeführt wurde: die Allbelarusische Volksversammlung, deren Mitglieder nicht direkt gewählt werden. Dieses Organ ist etwa bevollmächtigt, Richtlinien der Aussenpolitik zu verabschieden oder Verfassungsänderungen vorzuschlagen.
Es gibt Stimmen, die glauben, dass Lukaschenko das Organ dereinst für eine Machtübergabe nutzen könnte. Dafür gibt es aber noch keine Anzeichen. Im Januar stehen erst einmal die Präsidentschaftswahlen an. Die politische Situation in Belarus ist auch nicht davon zu trennen, was mit dem Krieg in der Ukraine passiert.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.