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Wahlen in Deutschland Jamaika-Koalition? Bei diesen Themen wird es schwierig

Die vier Parteien CDU/CSU, FDP und die Grünen regieren Deutschland vielleicht bald zusammen. Wo die Knackpunkte liegen.

Die SPD geht in die Opposition, mit der AfD will niemand zusammenarbeiten. In der Theorie ist die Koalitionsfrage daher schnell beantwortet: Es soll die Jamaika-Koalition werden, benannt nach der schwarz-gelb-grünen Flagge des Karibikstaates. Bis die Gespräche beendet sind, wird es allerdings noch ein wenig dauern. Bei der letzten Wahl vergingen 86 Tage von der Wahl bis zum Eid, seit 1990 waren es im Schnitt fast 46 Tage.

CDU/CSU, FDP und Grüne könnten also zusammen die neue Regierung Deutschlands bilden. Eine Koalition aus vier Parteien gab es bisher noch nie. Doch das Experiment hat seine Tücken. Sind die Positionen, der am rechten Flügel politisierenden CSU, der liberalen FDP und den auf Umweltfragen spezialisierten Grünen zu vereinbaren? Auch Wahl-O-Mat, die deutsche Version von Smartspider, hat die vier Parteien verglichen und kommt zum Ergebnis: Eine Jamaika-Koalition hätte in gerade mal neun Themen Einigkeit, in 21 Themen gibt es Widersprüche.

Umweltschutz: Das Schwerpunktthema der Grünen stösst vor allem bei der FDP auf Widerstand. So fordern die Grünen bis 2030 die Abschaltung aller Kohlenkraftwerke sowie ein Verbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotoren. Sie wollen bis dahin den Komplettumstieg auf erneuerbare Energien abgeschlossen haben.

Die Liberalen hingegen halten die fossilen Energieträger «auf absehbare Zeit» für nicht verzichtbar und erneuerbare Energien nur für ein «ein wichtiges Element im Energiemix der Zukunft». So wollen sie weiter auf Kohle setzen und etwa die Subventionen von erneuerbaren Energien abschaffen.

Die CDU/CSU will die erneuerbaren Energien zwar ausbauen, dabei aber ebenfalls nicht auf fossile Energieträger, wie etwa Kohle, verzichten. Zum Thema Verbrennungsmotor sagte der CDU-Wirtschaftsrat kürzlich, die Grünen müssten sich, sollte es Gespräche geben, von «realitätsfernen Forderungen» verabschieden. Forderungen nach einem Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor 2030 seien beispielsweise «fern der Realität».

Sozialpolitik: Hier ist ein Streit vor allem um die von den Grünen geforderte «Bürgerversicherung» vorprogrammiert. In diese Renten- und Gesundheitsversicherung sollen auch Selbstständige einzahlen. Sowohl die FDP wie auch die CDU/CSU stellen das momentane System nicht in Frage und wollen das jetzige Nebeneinander von privater und öffentlicher Krankenversicherung beibehalten. Die FDP bezeichnete die Bürgerversicherung sogar als «staatliche Zwangskasse».

Innere Sicherheit: Während der liberalen FDP zu viele Behörden für die Sicherheit zuständig sind, wollen die Grünen den Verfassungsschutz mit einem neuen Bundesamt zur Gefahren- und Spionageabwehr ersetzten. Die Union, die beim Thema innere Sicherheit restriktiver tickt, engagiert sich für vor allem für die Vereinheitlichung der Sicherheitsstandards. Ein Musterpolizeigesetz soll die 16 Ländergesetze ablösen. Trotzdem: die Parteien könnten sich wohl auf eine grundsätzliche Reform des Verfassungsschutzes und eine Neuverteilung der Zuständigkeiten einigen.

Flüchtlinge: «Eine Situation wie im Jahr 2015 soll und darf sich nicht wiederholen», heisst es im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU mit Blick auf den damaligen starken Zuzug von Flüchtlingen. Die Mitte-rechts politisierende CSU fordert zudem eine Obergrenze von 200'000 Flüchtlingen pro Jahr. Das lehnen Grüne und Liberale sowie die Kanzlerin ab.

Die beiden möglichen Minderheitspartner wollen bei diesem Thema in zwei völlig verschiedene Richtungen. Die Grünen setzen sich für Flüchtlingskontingente und humanitäre Visa ein, die eine sichere Flucht ermöglichen sollen. Neben faireren und schnelleren Verfahren wollen sie zudem den Familiennachzug bei Flüchtlingen mit subsidärem Schutz, heisst bei einer Aufenthaltsberechtigung von einem statt drei Jahren, wieder einführen. Die Willkommenskultur soll mit vielen Engagierten weiter gelebt werden, auch, weil die Integration noch lange nicht abgeschlossen sei, heisst es im Parteiprogramm.

Die FDP wollen hingegen Kriegsflüchtlingen nur einen «vorübergehenden humanitären Schutz» bieten und sie nach Ende des Kriegs in ihrer Heimat wieder zurückschicken. Zudem sollen die Flüchtlinge bei Ankunft zuerst zentral untergebracht werden, nur Sachleistungen erhalten und erst bei Anerkennung auf die Gemeinden verteilt werden.

Aussenpolitik: Unterschiede gibt es vor allem in Bezug auf das in der Nato vereinbarte Ziel, bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) für die Verteidigung auszugeben. Die Grünen lehnen dies klar ab, die CDU und CSU haben sich ebenso klar dafür ausgesprochen. Die Mitteposition nimmt bei diesem Punkt die FDP ein. Sie ist ebenfalls für eine Anhebung des Verteidigungsetats, nennt das Zwei-Prozent-Ziel aber nicht explizit im Programm.

Die EU-Frage: Alle vier Parteien sind im Grundsatz proeuropäisch. Trotzdem gehen die Positionen auch hier weit auseinander.

Die Grünen sprechen in ihrem Wahlprogramm von einer «Krise Europas» und sehen Differenzen in der EU, insbesondere in der Flüchtlingspolitik. Trotzdem sieht die selbsternannte Europa-Partei die Zukunft in «mehr Europa». Wichtige Punkte im Programm sind die Angleichung der Löhne für gleiche Arbeit, mehr Rechte für das gewählte Europaparlament und das Vorantreiben der Modernisierung und Unterstützung der Staaten mit einem europaweiten Zukunftsfond.

Auch die FDP bekennt sich klar zu Europa. Reformen und mehr Transparenz seien trotzdem notwendig, ebenso ein gemeinsamer EU-Aussenminister. Eine weitere Forderung ist der Aufbau eines europäischen Grenzschutzes sowie einer europäischen Armee. Die CDU/CSU wollen, dass Deutschland und die EU als verlässlicher Partner wahrgenommen werden. Grundsätzlich möchten sie die EU weiter stabilisieren, eine Vergemeinschaftung der Schulden schliessen sie jedoch aus.

Die EU muss so bald wie möglich dringend benötigte Reformen umsetzen. Im Fokus steht vor allem die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion. Gegen die Vorschläge von Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron, die Eurozone zu vertiefen und ihr einen Wirtschafts- und Finanzminister sowie einen eigenen Haushalt zu geben, könnte sich insbesondere die FDP stemmen. Aber auch in der Union gibt es starke Vorbehalte. Der Grünen-Chef Cem Özdemir sagte am Montag hingegen: «Die nächste Regierung, der wir angehören wollen, muss Frankreich unterstützen. Anders geht es nicht.»

Die Frage ist auch, ob Merkel etwa beim Brexit oder der Solidarität mit den Ländern des Südens nachgeben muss, da die FDP hier eine ganz andere Linie fährt. Dies könnte auch den Konsens innerhalb der EU gefährden. Chancen sehen Experten hingegen bei einer stärkeren Kooperation im Verteidigungsbereich und Kompromisse in der Flüchtlingsfrage.

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