- Die Beteiligung zur Wahl eines neuen und deutlich geschwächten Parlaments in Tunesien ist extrem tief ausgefallen.
- Laut Wahlkommission in Tunis sind nur knapp neun Prozent der 9.2 Millionen Wahlberechtigten an die Urnen getreten.
- Erste Resultate zur Wahl werden ab Montag erwartet.
Die Wahlbeteiligung lag deutlich tiefer als bei den früheren Parlamentswahlen im Land. «Die Menschen haben kein Vertrauen mehr in den politischen Prozess und die politischen Vertreter», erklärte Malte Gaier gegenüber Keystone-SDA. Er leitet das Auslandsbüro der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung in Tunis leitet. «Die Menschen versprechen sich auch von dieser Wahl keine Verbesserung.»
Mehr Macht für Präsident Saied dank neuer Verfassung
Tunesiens Staatschef Kais Saied hatte das alte Parlament Ende März aufgelöst, um seine politischen Gegner zu schwächen und seine eigene Macht auszubauen. Seit der Einführung einer umstrittenen neuen Verfassung im Sommer kann der Staatschef auch ohne Zustimmung des Parlaments die Regierung sowie Richter ernennen und entlassen.
Der Ex-Juraprofessor Saied änderte vor der Abstimmung auch das Wahlrecht. So konnten die Bürger nur noch für einen Vertreter pro Wahlkreis stimmen. Bei früheren Wahlen traten Parteien oder Parteienblöcke mit mehreren Kandidierenden an, darunter mussten stets auch Frauen sein. Diese Pflicht entfiel.
Im abgesetzten Parlament waren Human Rights Watch zufolge aufgrund der Quotenregelung 31 Prozent der Abgeordneten weiblich. «Das tunesische Parlament war einst das Vorbild für Geschlechtergerechtigkeit in der Region. Mit den Gesetzesänderungen könnte das bald Geschichte sein», schreibt die Organisation in einem Bericht.
Jetzt werden Rücktrittsforderungen laut
Im Vorfeld der Wahl hatten deshalb die meisten Parteien zum Boykott aufgerufen. Auch der mitgliederstarke und einflussreiche tunesische Gewerkschaftsverband UGTT, der lange zu Saied gehalten hatte, nannte die Parlamentswahl «wenig sinnvoll». Für viele in Tunesien war Saied lange Zeit ein Hoffnungsträger. Inzwischen sinken seine Beliebtheitswerte rapide.
Was heute passiert ist, gleicht einem Erdbeben.
Die in der Rettungsfront vereinte Opposition rief Saied nun zum Amtsverzicht auf. «Was heute passiert ist, gleicht einem Erdbeben», sagte der Chef der Rettungsfront, Nejib Chebbi. «Von diesem Moment an halten wir Saied für einen illegitimen Präsidenten und fordern seinen Rücktritt nach diesem Fiasko.»
Viele Menschen kämpfen Tag für Tag darum, über die Runden zu kommen. Lebensmittel sind teuer und mitunter knapp geworden.
Immer mehr junge Menschen machen sich auf den Weg nach Europa, um dort Arbeit und eine Perspektive zu finden. Die Politik hat bislang keine Lösungen für die wirtschaftlichen Verwerfungen und die hohe Arbeitslosigkeit im Land gefunden.