Unbestreitbar schön sind sie, die ungarischen Steppenrinder. Ihr Kopfschmuck ist geschwungen wie die Trinkhörner der Wikinger – und sie haben helles Fell wie Märchengestalten. Doch schön haben es die 50 Tiere nicht: Sie stehen so eng beieinander, dass sie sich gegenseitig auf die Hufe treten. Eingezäunt, auf aufgeweichter Erde, fast ohne Gras.
Dabei wächst nebenan Futter bis zum Horizont: die Puszta in Ungarns Osten, unendliches Weideland. Zsigmond Mavranyi ist hier schon ein langes Leben lang Bauer, der Wind hat sein Gesicht gegerbt. Er leidet mit seinen Rindern. «Es ist verrückt, ich muss für meine Tiere extra Futter kaufen. Was für eine Verschwendung», sagt der Bauer.
Früher war das anders, da hatte Zsigmond Mavranyi hier reichlich Land gepachtet für seine Rinder und für hunderte Schafe. «Aber vor fünf Jahren liefen meine Pachtverträge aus.» So weit, so normal: In Ungarn gelten Pachtverträge meistens nur ein paar Jahre. Bloss: Mavranyis Vertrag wurde nicht verlängert – und der Bauer konnte auch nirgends Land kaufen.
Subventionen machen Agrarland attraktiv
Mehrmals bewarb sich Mavranyi, tat sich sogar mit anderen Bauernfamilien zusammen, um Land zu kaufen. Aber er hatte keine Chance, der Boden ging an Leute aus der Stadt, die nichts zu tun haben mit Landwirtschaft und denen es zu mühsam ist, das Land an Bauern zu verpachten. «Jetzt liegen hier 300 Hektar Land unangetastet, die perfekt wären für uns», sagt der ungarische Bauer, «und ich weiss nicht, wohin mit meinen Rindern und Schafen.» Viele Tiere habe er verkauft.
Was im Osten Ungarns passiert ist, kommt im ganzen Land vor: Leute, die Ungarns mächtigem Regierungschef Viktor Orban nahestehen, kaufen Agrarland auf – obwohl sie mit Landwirtschaft nichts am Hut haben. Das zeigen Recherchen von ungarischen Journalisten sowie ein Bericht der Regierung, der lange geheimgehalten wurde.
Der ungarische Regierungschef Viktor Orban will am 3. April seine Wiederwahl schaffen – und hat dafür ein System von Abhängigkeiten geschaffen, das seinen Getreuen viele Vorteile bringt. Orbans Entourage will das Agrarland wegen der Subventionen: Die Europäische Union zahlt Unterstützungsgeld für Ackerbau und Tierhaltung pro Hektar, sogar wenn niemand das Land für Landwirtschaft nutzt. Viele Bauern – auch Zsigmond Mavranyi – erzählen, dass man sie viel zu spät über Landauktionen informiere und sie einschüchtere.
Regierung gibt EU die Schuld
Der ungarische Staatssekretär für Landwirtschaft räumt Fehler ein. «Leider gibt es lokale Konflikte, wie überall auf der Welt», sagt Zsolt Feldman in Budapest. In Ungarn gebe es zu wenig Land und zu viele Menschen, die gerne welches hätten – besonders im Osten. Wenn jemand Land kauft und es brach liegen lässt, könne die ungarische Regierung nichts tun, denn die EU erlaube das.
Mein Freund klagt jeden Morgen über Bauchschmerzen, weil er nicht weiss, welche Schikane als Nächstes kommt.
Wie viel Land unbenutzt bleibt, weiss tatsächlich niemand genau. Was wir aber wissen: Bauer Zsigmond Mavranyi bekam Ärger, nachdem er seine Geschichte Journalistinnen erzählt hatte. «Normalerweise darf ich meine Schafe im Winter draussen herumlaufen lassen. Doch letztes Mal hatte ich eine Anzeige am Hals.» Alle paar Monate kontrollieren die Behörden Mavranyi inzwischen, ständig beanstanden sie etwas.
Ihn stachelt das an, zu kämpfen – anders als einen befreundeten Schäfer. «Mein Schäfer-Freund klagt jeden Morgen über Bauchschmerzen, weil er nicht weiss, welche Schikane als Nächstes kommt.» Eins haben beide Männer gemein: Sie wünschen sich, dass Regierungschef Orban die Wahlen am 3. April verliert.