Häfen sind das Rückgrat der Weltwirtschaft. Allein in den grossen Häfen der EU werden jährlich 3.5 Milliarden Tonnen Güter umgeladen, ein Viertel davon in Containern. Europas führende Containerhäfen wie Rotterdam, Antwerpen, Hamburg oder Bremerhaven erstrecken sich über riesige Gelände, beschäftigen zigtausende von Angestellten. Hunderte staatliche Stellen und private Firmen sind dort aktiv. Und die organisierte Kriminalität.
Tamara Schotte, verantwortlich für strategische Analysen bei Europol, spricht von «einer stark wachsenden Präsenz krimineller Banden». Geschmuggelt wird fast alles: gestohlene Autos, Kunst, gefälschte Waren, Tabakprodukte und neuerdings boomt der Giftmüll. Am erfolgreichsten bleibt das Geschäft mit Kokain, Heroin, Marihuana oder synthetischen Drogen. Der Kokainkonsum steigt in ganz Europa.
Bei den Containern werden lediglich zwei bis maximal zehn Prozent kontrolliert.
Laut Europol gibt es keinerlei verlässliche Zahlen über den Anteil des illegalen Handelsvolumens in Häfen. «Umfassende Kontrollen sind unmöglich. Sonst käme der Welthandel zum Erliegen. Bei den Containern werden lediglich zwei bis maximal zehn Prozent kontrolliert», so Schotte.
Riesige Dunkelziffer
Meistens kommen Röntgenscanner zum Einsatz. 2021 wurden europaweit 240 Tonnen Drogen mit einem Marktwert zig Milliarden beschlagnahmt. Die Dunkelziffer dürfte das 20-Fache betragen.
Die schiere Menge der Güter macht Häfen – deutlich vor Frachtbahnhöfen oder Flughäfen – zu Tummelplätzen international vernetzter Banden. Das klassische Mafia-Modell mit einem Familienclan ist überholt. Die Drahtzieher sind meist weit weg, oft ausserhalb der EU: In Lateinamerika, im Nahen Osten, etwa in Dubai, so Europol.
Das illegale Verschieben eines einzigen Containers kann einem Kranführer 20'000 Euro einbringen.
Die Banden haben ihre Leute überall: Kranführer, Lastwagenfahrer, Logistikerinnen, Hafenpolizisten, Zöllner. Laut Schotte sind sie immer öfter in hohen Positionen: «Meistens lockt viel Geld. Das illegale Verschieben eines Containers kann einem Kranführer 20'000 Euro einbringen.» Wer aus dem Geschäft aussteigen will, wird psychisch und physisch bedroht – oder seine Familie.
Digitale Manipulationen
Eine neue Methode besteht darin, sich Zugang zu den Datenbasen zu verschaffen und die PIN- oder QR-Kodes der Container zu manipulieren. So verschwinden Container mit hohem Risikoprofil von der Liste und werden nicht kontrolliert. Oder sie werden freigegeben, ohne das Prozedere durchlaufen zu haben. Der Vorteil: Es braucht nicht einmal mehr eine direkte Präsenz im Hafen.
«Das Problem der unterwanderten Häfen ist mittlerweile erkannt», sagte EU-Innenkommissarin Ylva Johansson neulich nach einem Hafenbesuch. Es sei vergleichbar gross wie der internationale Terrorismus und müsse intensiv bekämpft werden.
Gegenmassnahmen – schwierig, teuer und unbeliebt
Schotte von Europol nennt eine Reihe konkreter Gegenmassnahmen: mehr Kooperation zwischen den Häfen, grenzüberschreitende Polizeizusammenarbeit und einen Schulterschluss zwischen Polizei- und Hafenbehörden und dort tätigen Privatfirmen.
Dazu gehört auch die systematische Abklärung von Kandidaten für Stellen in Häfen. Ebenso der begrenzte Zugang zu digitalen Hafensystemen und mehr Kontrollen sowie die Unterstützung für Whistleblower. Das alles ist teuer und unbeliebt, weil es den Warenumschlag verlangsamt. Wenn nun die grössten Häfen enger zusammenarbeiten, dürften Kriminelle in Hunderte kleinerer Häfen mit lascheren Kontrollen abwandern.