Von Dienstag bis Donnerstag treffen sich die Staats- und Regierungsoberhäupter der 32 Nato-Staaten zum Gipfel in Washington. Zuerst gibt es eine Feier aus Anlass des 75. Geburtstags der Nato. Auf der Tagesordnung stehen aber vor allem der Ukraine-Krieg, die Gefahren, die von Russland ausgehen – und der innere Zusammenhalt der Nato. Sebastian Ramspeck, internationaler Korrespondent von SRF, mit Antworten auf die wichtigsten Gipfel-Fragen.
Ist die Nato mit 75 in Feierlaune?
Die Nato hat Grund zum Feiern, aber in Feierlaune ist sie nicht. Zwar hat es in den vergangenen 75 Jahren niemand gewagt, das Bündnis militärisch anzugreifen. Das ist ein Erfolg. Doch die Pflicht der Mitgliedstaaten, sich im Kriegsfall gegenseitig zu unterstützen, ist ungewiss wie selten zuvor. Und zwar vor allem wegen der USA, des wichtigsten Nato-Staats. Präsident Joe Biden macht Schlagzeilen mit seiner Altersschwäche, und sein möglicher Nachfolger Donald Trump hat mehrmals die Unterstützungspflicht in Frage gestellt und gar mit dem Austritt aus der Nato gedroht.
Wird Joe Biden unter Beobachtung stehen?
Und wie. Biden hatte den Gipfel eigentlich nutzen wollen, um sich knapp vier Monate vor den US-Wahlen als Anführer der Nato in Szene zu setzen. Nun aber wird der Gipfel für ihn, den Gastgeber, zum Spiessrutenlauf. Ist er fit genug, um die vielen Sitzungen durchzustehen? Blamiert er sich bei seinen öffentlichen Auftritten mit unsinnigem Gemurmel? Wird er in der Gipfel-Woche gar seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur bekanntgeben?
Was darf die Ukraine vom Gipfel erwarten?
Bisher koordinieren die USA die Unterstützungsmassnahmen der Nato-Staaten für die Ukraine. Nun soll die Nato selbst diese Aufgabe übernehmen. Generalsekretär Jens Stoltenberg dürfte Militärhilfen in der Höhe von 40 Milliarden Euro für den Zeitraum eines Jahres ankündigen. Die Details des Pakets sind freilich noch in Verhandlung. Auf jeden Fall ist es bescheidener als Stoltenbergs ursprünglicher Plan eines 100-Milliarden-Fonds für mehrere Jahre.
Wer steht bei der Ukraine-Hilfe auf der Bremse?
Auf dem Papier bekennen sich alle Nato-Mitglieder zur Unterstützung der Ukraine. Doch in etlichen Staaten wächst die Skepsis gegenüber den Waffenlieferungen. Am lautesten kritisiert Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán die Ukraine-Politik der Nato. Er will sich am Milliarden-Paket nicht beteiligen und reiste stattdessen vergangene Woche für Gespräche zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Putin will seine Angriffe gegen die Ukraine jedoch nur einstellen, wenn ihm diese die Krim-Halbinsel sowie vier ihrer 24 Oblaste überlässt – darunter Gebiete, die Russland gar nicht kontrolliert.
Was würde eine zweite Amtszeit Trumps für die Nato bedeuten?
In seiner ersten Amtszeit hatte Trump vor allem höhere Verteidigungsausgaben in den europäischen Nato-Staaten angemahnt – und das Bündnis auf diese Weise gestärkt. Doch seine Fundamentalkritik an der Nato lässt Zweifel aufkommen, ob er einem anderen Mitgliedstaat im Kriegsfall tatsächlich zur Seite stehen würde. Solche Zweifel untergraben die Glaubwürdigkeit der Nato. Denkbar ist ausserdem, dass Trump die Ukraine drängen würde, die von Putin geforderten Gebiete abzutreten. Auch das würde die Glaubwürdigkeit der Nato untergraben – und für heftigen Streit unter den 32 Mitgliedern sorgen.