Die ukrainische Präsidentengattin Olena Selenska hat der globalen Wirtschafts- und Politikelite am WEF ins Gewissen geredet. «Was Sie verbindet, ist der grosse Einfluss, den Sie ausüben», rief sie in den grossen Saal des Davoser Kongresszentrums: «Was Sie trennt, ist der Umstand, dass nicht alle diesen Einfluss nutzen.»
Mit ihren viel beachteten Auftritten am WEF kämpfen Selenska, der Kiewer Bürgermeister Vitali Klitschko und weitere prominente Ukrainerinnen und Ukrainer gegen den Aufmerksamkeitsschwund, welcher die Ukraine bedroht.
Knapp ein Jahr nach Beginn der russischen Grossoffensive ist der Krieg an einem kritischen Punkt angelangt. Mit der Eroberung der Kleinstadt Soledar hat Russland zum ersten Mal seit Monaten einen militärischen Erfolg erzielt.
Mehr Beistand gefordert
Mit jedem Kriegsmonat, der verstreicht, droht die Unterstützungsbereitschaft des Westens zu schwinden und die Ukraine in grössere Bedrängnis zu geraten. Zumal der Friedensplan, den die ukrainische Führung vor Weihnachten der Weltöffentlichkeit vorgestellt hat, beim russischen Präsidenten Wladimir Putin auf taube Ohren stösst.
Nur, wenn die Mächtigen der Welt ihren Einfluss nutzen, um der Ukraine noch mehr Beistand zu gewähren, kann es ihr gelingen, die Oberhand im Krieg zurückzugewinnen – das ist Selenskas zentrale Position.
Konkrete Forderungen dürften in den Briefen ihres Gatten Wolodimir Selenski aufgelistet sein, die sie am WEF mehreren Spitzenpolitikern überreichen will, unter anderem dem Schweizer Bundespräsidenten Alain Berset.
Alle warten auf Deutschland
Sicher ist: Die Ukraine fordert die Lieferung zusätzlicher Waffen, und diese Forderung ist eines der grossen Themen am WEF. Ihr schlossen sich heute die Präsidenten Polens und Litauens an, und mit Spannung wird die morgige Rede des deutschen Bundeskanzlers Olaf Scholz erwartet.
Nachdem Grossbritannien als erstes Land die Lieferung moderner Kampfpanzer in Aussicht gestellt hat, könnte Scholz in den kommenden Tagen, vielleicht bereits morgen am WEF, Ähnliches verkünden. Das zumindest munkeln deutsche Politikexperten und Journalistinnen in den Gängen des Davoser Kongresszentrums.
Doch die ukrainische Führung weiss auch: Mit den paar Dutzend westlichen Panzern, die es am Ende wohl sein dürften, werden ihre Streitkräfte den Krieg gegen Russland nicht entscheiden. Der Kampf Selenskas und ihrer Mitstreiter gegen den drohenden Aufmerksamkeitsschwund geht weiter.