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Weg frei für Oppositionschef Polens Parlament bestimmt Donald Tusk zum Regierungschef

  • In Polen hat der amtierende Ministerpräsident Mateusz Morawiecki erwartungsgemäss die Vertrauensabstimmung im Parlament verloren.
  • Polens Parlament hat den früheren Oppositionsführer Donald Tusk daraufhin zum künftigen Regierungschef bestimmt.
  • Für den Chef der liberalkonservativen Bürgerkoalition (KO) stimmten 248 der 449 anwesenden Abgeordneten.
  • Tusks Dreier-Bündnis zusammen mit dem Dritten Wege und der Neuen Linken hat seit der Wahl vom 15. Oktober die Mehrheit im Parlament.

Der Wunsch nach Normalität

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Die Kurzeinschätzung von SRF-Ausland-Korrespondentin Sarah Nowotny:

Heute hat die polnische Regierung im Parlament die Vertrauensfrage gestellt – und verloren. Seit den Wahlen haben die Regierungsgegner eine Mehrheit, sie werden Polen von nun an regieren.

Hunderttausende schauen zu im Internet, alle Kinokarten sind ausverkauft – das Kino Kinotheka in Polens Hauptstadt Warschau hätte sogar noch mehr Tickets verkaufen können. Gezeigt wird ... eine Sitzung im polnischen Parlament, inklusive Popcorn fürs Kinopublikum. Heute ist das ein Kassenschlager, weil es dort alles gibt, was menschliche Dramen ausmacht. Eine Regierung tritt ab, die acht Jahre lang versucht hat, Polen umzuformen. Sie wollte ein religiöses, patriotisches Land, in dem die Justiz gefügig ist. Sie hat ein Land geschaffen, dessen eine Hälfte deutlich weniger religiös, deutlich weltoffener ist als vor acht Jahren – weil das halbe Land diese Regierung abgelehnt hat. An die Macht kommt nun der Lieblingsfeind der abtretenden Regierung, Donald Tusk. Die Abgewählten nannten ihn das «Böse in Person». Er wird nicht alles rückgängig machen können, was sich seine Wählerinnen und Wähler wünschen. Denn die abtretende Regierung hat vieles zementiert: mit Posten, die sie vergeben hat, mit Gesetzen, mit Gerichtsurteilen. Und auch der polnische Präsident, der ein Vetorecht hat, steht den abtretenden Konservativen nahe. Aber Donald Tusk wird im besten Fall dafür sorgen, dass Polens Politik in Zukunft weniger dramatisch ist. Und das wäre schon einiges in Polen, wo sich viele Menschen wünschen, einfach in einem «normalen» Land zu leben, in einem Land, wo man nicht im Kino Parlamentssitzungen verfolgt.

Ein Koalitionsvertrag wurde bereits vor Wochen unterschrieben, auch die Ressortverteilung ist geklärt. Die frühere Regierungspartei PiS wurde zwar stärkste Fraktion, verfehlte aber die absolute Mehrheit. Trotz dieser Mehrheitsverhältnisse hatte Präsident Andrzej Duda, der aus den Reihen der PiS stammt, Morawiecki mit der Regierungsbildung beauftragt und dessen Kabinett Ende November vereidigt. Die von Beginn an chancenlose Regierung blieb zwei Wochen im Amt.

Bei der Vertrauensfrage verpasste Morawiecki aber die nötige Mehrheit. Er erhielt nur 190 Stimmen, während 266 Abgeordnete gegen ihn votierten.

Guten Nachricht für die EU

    Zu Beginn der mit Spannung erwarteten Sitzung im Abgeordnetenhaus hatte Tusk auf der Plattform X (ehemals Twitter), geschrieben: «Auf die Plätze, fertig, los!» («Ready, steady, go!»). Mit einem Machtwechsel könnte auch ein jahrelanger Streit zwischen der EU und Polen, etwa über die umstrittene Justizreform und die Zuteilung von eingefrorenen EU-Mitteln in Milliardenhöhe, zu Ende gehen.

    Der 66-jährige Tusk war bereits von 2007 bis 2014 Ministerpräsident sowie von 2014 bis 2019 Präsident des Europäischen Rates und hat deshalb noch gute Kontakte nach Brüssel. Er hat wiederholt betont, er wolle Polens Position in Europa «wieder aufbauen».

    «Wenn jemand Polen zurück auf den demokratischen Weg der EU führen kann, dann ist es Tusk», sagte ein hochrangiger EU-Beamter der Nachrichtenagentur Reuters. «Wir vertrauen auf seine Führung.» Tusks politische Gegner werfen ihm allerdings vor, ausländische Interessen über die Interessen Polens zu stellen.

    Der 66-jährige Tusk will sein Kabinett am Dienstag präsentieren und seinerseits eine Regierungserklärung abgeben. Danach muss er die Vertrauensfrage stellen. Da er sich auf eine solide Mehrheit stützen kann, wird er sie höchstwahrscheinlich bestehen. Voraussichtlich am Mittwoch will Präsident Duda die neue Regierung vereidigen.

SRF 4 News, 11.12.2023, 9 Uhr ; 

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