Die Sozialisten oder die Konservativen regierten Spanien über Jahrzehnte in Eigenregie. Seit zehn Wochen nun sucht das Land eine Koalition, zu schwach sind beide Volksparteien nach den Neuwahlen vom Juli.
Fragmentierte Parteiensysteme erschweren die Mehrheitsfindung. Wählten westeuropäische Länder nach dem Zweiten Weltkrieg zwei bis drei grosse Parteien ins Parlament, mischen mittlerweile im Schnitt knapp fünf mit. Es sei komplizierter geworden, sagt Sarah Engler, Professorin für Vergleichende Politikwissenschaft der Leuphana Universität in Lüneburg. Mehrparteienregierungen würden Streit in Koalitionen und Neuwahlen wahrscheinlicher machen, so Engler.
Die Niederlande plagen sich für gewöhnlich mit der Regierungsbildung. Zuletzt übertraf sich die Politik mit 299 Verhandlungstagen aber selbst. Am Ende zerbrach die Siebenparteienregierung an der Asylpolitik. Die etablierten Parteien in Deutschland stellen wie in Spanien fest, dass der Regierungsausschluss der Polparteien zum arithmetischen Kunststück wird.
Kann die Schweiz als Vorbild dienen?
Und auch wenn Premierministerin Giorgia Meloni in Italien neue Stabilität versprüht, so war auch dort der Abstieg der Volksparteien mitverantwortlich, dass Rom ständig neu regiert wurde. Im Falle Bulgariens, das in drei Jahren nun fünfmal wählte, kollabiert das System von Mehrheitsregierung und Opposition komplett.
Wenn das System ächzt, sollte es reformiert werden? Nach dem Vorbild der Schweiz? Auch nach den Wahlen vom 22. Oktober werden wohl alle grossen Parteien in der Regierung einsitzen. Diese Einbindung verkleinert zwar Reformschritte, stabilisiert die Schweiz aber seit Jahrzehnten.
Machtwechsel wirken vielleicht instabil, sind aber auch eine Folge der Demokratie.
Einige Staaten dürften wohl über sehr grosse Koalitionen nachdenken müssen, sagt Politphilosoph Francis Cheneval der Universität Zürich. Dadurch entfalle aber eine starke Opposition, weshalb der Bevölkerung direktdemokratische Mittel zugestanden werden müssten. Machtwechsel wirkten vielleicht instabil, seien aber auch eine Folge der Demokratie. Denn durch das Wählen der Opposition könnten Herrschende abgestraft werden, so Cheneval. Entfällt die Opposition, müsse das Stimmvolk per Referendum eingreifen dürfen.
Gefahr von Neuwahlen weiterhin da
Cheneval glaubt aber nicht an solche Grossreformen, weil viele Mächtige die direkte Demokratie scheuen. Lange Koalitionsverhandlungen und Regierungsstreitigkeiten dürften andauern. Es werde wahrscheinlicher, dass Kräfte koalieren, die inhaltlich weit voneinander entfernt sind, so Politikwissenschafterin Engler, wodurch die Gefahr von Neuwahlen weiter lauert.
Einige etablierte Parteien dürften aufgrund ihrer politischen Nähe mit Protestparteien koalieren, die bislang von der Macht ausgeschlossen wurden. Andere koalieren über ideologische Gräben hinweg. In letzterem Falle müssen sich die Bevölkerung und die Medien an Streit und kleinere Reformschritte gewöhnen.