Wladimir Putin ist zum vierten Mal als Präsident vereidigt worden. SRF-Korrespondent David Nauer hat in Moskau einen Stimmungstest gemacht.
SRF News: Wie ist die Stimmung in Moskau am Tag der Vereidigung?
David Nauer: Ich war vorher ein bisschen in der Stadt unterwegs und man spürt eigentlich nichts. Das ist ein normaler Arbeitstag, das Wetter ist frühlingshaft. Aber für die Russinnen und Russen ist das kein politischer Tag. Nach 18 Jahren Putin ist es Alltag, dass er an der Macht ist. Deswegen ist dieser Tag der Vereidigung des Präsidenten auch nichts Besonderes.
Den Amtseid legte Putin vor geladenen Gästen in einem prächtigen Kremlsaal ab. Wie unterscheidet sich das von früheren Vereidigungen?
Im Gegensatz zum letzten Mal findet das Ganze nur innerhalb des Kremls statt, also hinter den Mauern dieser alten Stadtfestung, dem Zentrum der politischen Macht in Russland. Das letzte Mal war Putin noch mit einer sehr grossen Autoeskorte in der Stadt unterwegs. Dabei gab es Fernsehbilder von leeren Strassen. Das waren keine schönen Bilder, denn die Botschaft war, der Zar müsse die Stadt quasi von ihren Bewohnern säubern, bevor er sich überhaupt hineintraut. Solche Bilder wollte man nicht wieder zeigen.
Der Kreml hat Angst vor einem Umsturz und versucht, jede Opposition im Keim zu ersticken.
Und deswegen beschränkt sich das Programm, soweit man das bisher weiss, darauf, dass Putin vor handverlesenem Publikum im Kreml selber auftritt.
Was ist politisch von Putins vierter Amtszeit zu erwarten?
Das weiss niemand so genau. Er hat vor ein paar Wochen viele Versprechen abgegeben. Er hat gesagt, es gebe mehr Rente, höhere Löhne, in Infrastruktur werde investiert, auch die Armee werde aufgerüstet. Aber insgesamt kann der russische Staat sich das alles kaum leisten. Man hat den Eindruck, es fehlt Putin ein bisschen an einer politischen Vision; es fehlt die Vorstellung, was aus Russland werden soll, wie sich das Land entwickeln soll. Da liegt natürlich die Vermutung nahe, dass es ihm einfach nur darum geht, noch ein paar Jahre an der Macht zu bleiben. Es geht ihm also hauptsächlich um Machterhalt.
Gibt es an einem Tag wie heute Platz für Putin-kritische Stimmen?
Heute nicht. Aber erst vor zwei Tagen, am Samstag, hat der Oppositionelle Alexej Nawalny Demonstrationen im ganzen Land organisiert. Er hat zu Demonstrationen gegen Putins Amtseinführung aufgerufen. In der Vergangenheit hatte es immer wieder solche Demos gegeben. Oft liess die Polizei die Oppositionellen gewähren. Aber diesmal war das ganz anders.
Private Schlägertrupps von Sondereinheiten der Polizei sind sehr brutal gegen die Demonstrierenden vorgegangen. Das wird in Russland nun als Signal dafür gewertet, wie in der nächsten Amtszeit Putins mit Oppositionellen umgegangen wird – nämlich ziemlich rücksichtslos.
Wieso das harte Vorgehen? Bei den letzten Wahlen erhielt Putin 76 Prozent der Stimmen. Da könnten ihm ein paar Oppositionelle doch egal sein?
Ja, das könnte man meinen. Aber diese 76 Prozent sind ziemlich brüchig. Putin – und auch die meisten anderen Russen – wissen genau, dass diese Wahl nicht wirklich eine faire freie Wahl war. In einem autoritären Staat ist eben ein Wahlgang allein nicht genug für die Legitimation des Herrschers, und die Stimmung kann auch sehr schnell kippen. Aus ein paar Tausend Demonstranten können schnell Hunderttausend werden.
Es sieht nicht nach einer Liberalisierung aus. Auch nicht nach einem Anziehen der Schrauben.
Man hat es in Armenien gesehen: Vor kurzem musste dort der Premierminister, der formal demokratisch gewählt war, unter dem Druck der Strasse zurücktreten. So etwas könnte auch in Russland passieren. Nicht heute oder morgen, aber der Kreml hat Angst vor einem solchen Umsturz und versucht deswegen, jede Opposition im Keim zu ersticken.
Das heisst, in der vierten Amtszeit geht es Putin vor allem darum, die eigene Macht zu erhalten. Politisch wird sich also nicht viel ändern?
Ja. Man kann davon ausgehen, dass Putin diese sechs Jahre durchziehen wird. Wie er das genau machen wird, weiss man aber nicht. Man muss auch sehen: Sechs Jahre sind eine lange Zeit, da kann viel passieren. Im Moment sieht es danach aus, dass Putin einfach so weitermacht wie bisher mit diesem milden Autoritarismus, der zuschlägt wenn nötig. Es sieht also nicht nach einer Liberalisierung aus. Auch nicht nach einem neuen Anziehen der Schrauben. Aber Putin ist natürlich immer für eine Überraschung gut. Das hat er in der Vergangenheit mehrfach gezeigt. Er wird in der nächsten Zeit seine neue Regierung, den Premierminister und die Minister vorstellen müssen. Vielleicht gibt er mit personellen Wechseln Hinweise darauf, wie es weitergeht.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.
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