Sie gerieten ins Visier der Taliban: Die Radsportlerinnen in Afghanistan. Der Weltradsportverband handelte, die Meldung ging um die Welt: 165 Sportlerinnen konnten so aus Afghanistan evakuiert werden, 38 davon landeten im Oktober in der Schweiz.
Das Staatssekretariat für Migration (SEM) bot Hand für die Evakuierung, da es die Sportlerinnen ebenfalls als akut gefährdet einstufte. «Durch ihre Sportlerinnen-Tätigkeit sind diese Frauen in Afghanistan nach der Machtübernahme durch die Taliban besonders exponiert», schreibt das SEM der «Rundschau».
Willkürliche Auswahl?
Recherchen zeigen nun: Warum gewisse Namen auf der Liste standen und andere nicht – ist höchst umstritten. Der Weltradsportverband UCI erstellte diese Liste gemeinsam mit dem afghanischen Radsportverband und Kennern der Szene.
Athletinnen, Aktivistinnen und Journalisten weisen darauf hin, dass ein zweifelhafter afghanischer Sportfunktionär bestimmte, wer evakuiert wurde und wer nicht – und dies offenbar zu seinen Gunsten. «Wenn der Weltverband sich wirklich um die Athleten sorgt, dann hätten sie alle Radsportlerinnen auf die Liste setzen müssen», sagt Reihana Mohammadi, eine der bekanntesten Fahrerinnen des Landes.
«Mir sind die Listen egal. Alle Evakuierungen aus dem Land sind im Moment verwirrend», sagt Aktivistin Shannon Galpin, welche 2013 den Dokumentarfilm «Afghan Cycles» gedreht hatte. «Aber gerade der Weltradsportverband hat die Verantwortung, die zahlreichen Vorwürfe zu Fazli Ahmad Fazlis Schikanen und Belästigungen zu untersuchen.»
Wer spricht, droht Lizenz zu verlieren
Fazli Ahmad Fazli ist Präsident des afghanischen Radsportverbands – ein paschtunischer Geschäftsmann, der zwischen Kabul und Istanbul pendelt. Der «Rundschau» liegen verschiedene Evakuierungslisten vor. Auf manchen finden sich unter anderem Fazlis Familie, sowie auch sein Bruder.
Gemäss Medienberichten und Aussagen von Sportlerinnen sollen auch Bekannte von Fazli evakuiert worden sein, die nichts mit dem Radsport zu tun haben. «Die Mehrheit auf dieser Liste kann nicht einmal Velo fahren», schreibt eine bekannte Athletin aus dem Frauen-National-Team der «Rundschau». Namhafte und folglich gefährdete Sportler hingegen hätten die Verbände nicht berücksichtigt. Auf Kritik reagiert Präsident Fazli mit Drohungen und Diffamierungen. Der «Rundschau» liegen entsprechende Sprachnachrichten vor.
Ein Orden für den Präsidenten
Die afghanischen Radsportlerinnen, die nun in der Schweiz sind, schreiben, sie dürfen sich nicht äussern. Ihre Weggefährten ausserhalb der Schweiz teilen der «Rundschau» mit, dass sie von Verbandspräsident Fazli einen Maulkorb erhalten hätten, er drohe ihnen mit Lizenz-Entzug. Die Fragen der «Rundschau» beantwortet Fazli nicht.
Zu der Kritik schreibt der Weltradsportverband: «Wir sind uns bewusst, dass Sportler in Afghanistan geblieben sind. Wir konnten nicht mehr aufnehmen. Wir haben die ursprüngliche Liste bereits erweitert.»
Die Vorwürfe, die Liste sei manipuliert worden, weist UCI allerdings zurück. Bei der Evakuation ginge es darum, Leben zu retten, schreibt die UCI der «Rundschau». Es handle sich um Gerüchte, um die Aktion zu verunglimpfen. Im September hat der Weltradsportverband Fazli Ahmad Fazli mit einem Orden für seine Verdienste insbesondere im Frauenradsport ausgezeichnet.