Die Europäische Union hat sich in den letzten 20 Jahren verzettelt. Sie schafft zu wenig Wohlstand für ihre Einwohnerinnen und Einwohner. Im Vergleich: In den USA hat sich im gleichen Zeitraum das Haushaltseinkommen verdoppelt. So gehe es nicht mehr weiter, hält Mario Draghi in seinem Bericht fest.
Der Bericht von Mario Draghi
«Sollten wir nicht etwas weniger tun und uns besser auf das Wesentliche fokussieren?» Eine rhetorische Frage des ehemaligen Chefs der Europäischen Zentralbank (EZB). Mehr Sinn für neue Realitäten sei gefragt. Vorbei die Zeit, in der sich die EU auf alte Tugenden berufen konnte, nämlich die wettbewerbfreudigste Volkswirtschaft der Welt zu sein.
Das Problem: Die anderen, allen voran die USA und China, spielen das Spiel nicht mehr mit. Darum sei Europa wirtschaftlich so verletzlich geworden, analysiert Draghi. Nur ein Innovationsschub könne Abhilfe schaffen. Die Staaten und Unternehmen in der EU investierten viel zu wenig in Forschung und Entwicklung. Es fehlten nicht die innovativen Köpfe, aber die Pragmatikerinnen, die innovative Produkte auf den Markt bringen.
Drei Beispiele für die angespannte Lage
Ein Indikator für diese Malaise ist laut Draghi: Ein Drittel der Hightech-Firmen in der EU habe in den letzten Jahren ihren Hauptsitz in die USA verlegt. Die Folgen liessen sich exemplarisch in der Automobilindustrie ablesen: Deren Geschäftsmodell basiere auf mittelmässigen Technologien ohne Zukunft.
Ein anderes Beispiel sei der Energiemarkt. Die Preise würden immer noch bestimmt, als ob Billiggas und -öl aus Russland importiert werden könne. Die EU-Gesetzgebung hinke der Realität hinterher. In der Realität müssten nachhaltige Energiequellen preisbestimmend sein.
Drittes Beispiel ist die Verteidigungsindustrie. Die EU-Staaten würden zwar endlich aufrüsten, das erfolge aber weitgehend ohne Koordination. Eingekauft werde mehrheitlich ausserhalb Europas. Gefährliche Abhängigkeiten blieben bestehen, meint Draghi. Die EU könne sehr viel mehr erreichen, wenn sie sich endlich als Gemeinschaft verstehe.
Umdenken gefordert
Draghi plädiert für ein grundlegendes Umdenken in der EU-Wirtschafts- und Industriepolitik. Konsequenter Fokus auf europäische Interessen gegenüber den globalen Rivalen und weniger bürokratischer Perfektionismus bei Regulierungen innerhalb der EU. Auch wenn das auf Kosten von Wettbewerb gehe. Draghi macht um Tabus keinen Bogen.