Darum geht es: Die Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten, Andrea Nahles, gibt das Partei- und das Fraktionspräsidium ab. Die SPD hatte bei der Europawahl mit 15.8 Prozent Wählerstimmen ihr historisch schlechtestes Ergebnis erzielt. Nicht mehr die Sozialdemokraten, sondern die Grünen sind nun die zweitstärkste politische Kraft in Deutschland. Nahles war die erste Frau, die an der Spitze der SPD stand. Die Sozialdemokraten sind jedoch noch in der Regierung, in einer grossen Koalition (Groko).
Das sind die Auswirkungen auf die Groko: Die Groko sei nun stark geschwächt, so Peter Voegeli, SRF-Deutschlandkorrespondent, denn Nahles war eine Verfechterin der grossen Koalition. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe sich jedenfalls nach ihrem Abgang fast bei ihr bedankt. «In der Praxis war Andrea Nahles ein Stabilitätsanker der grossen Koalition», so Voegeli.
Alternativen zur jetzigen Regierung: Übrig bleibe als Möglichkeit nur eine sogenannte Jamaika-Koalition, ein Zusammenraufen von CDU/CSU, FDP und Grünen, sagt Voegeli. Die Grünen liessen allerdings verlauten, sie seien dafür nicht bereit, weil sie ungefähr dreimal so viele Stimmen erhalten haben wie bei den letzten nationalen Wahlen. Sie wollen Kapital aus den guten Umfragewerten schlagen. Die FDP ihrerseits will nicht an der Regierung teilnehmen, solange Angela Merkel Kanzlerin ist. Deshalb stünden auch Neuwahlen zur Diskussion, so Voegeli.
Der Umgang mit der Parteichefin: «Ich fand bemerkenswert, wie Nahles von Heckenschützen aus der zweiten Reihe der SPD fertig gemacht wurde», sagt Voegeli. Nahles sei Politikern aus Leidenschaft. Sie habe nun alle Ämter abgegeben, auch ihr Mandat im Bundestag. Das zeige, wie schwer sie persönlich angegriffen worden sei. Doch von ihren Kritikern trete keiner an, um ihr Amt zu übernehmen.
Vorübergehende Führung: Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, ist als vorübergehende Parteichefin im Gespräch, wie Voegeli sagt. Die Fraktion im Parlament soll Rolf Mützenich vorübergehend führen.
Nächste Wahlen: In den Bundesländern Brandenburg und Sachsen wird im September gewählt. Die SPD müsse mit weiteren Rückschlägen rechnen, deshalb warte sie ab und besetze die hohen Ämter erstmal vorübergehend, sagt Voegeli. So werden die Images der neuen Chefs nicht gleich beschädigt.
Auseinanderbrechen der Koalition: «Im Moment sieht es danach aus, als dass spätestens bis Ende Jahr die Groko auseinanderbricht.» Generell könne man von einer strukturellen Krise sprechen. «Es gibt eine Schwächung der Volksparteien und eine zersplitterte Parteienlandschaft, wie auch in anderen europäischen Ländern. Deutschland sei eine Demokratie, so Voegeli, aber eine, die Angst vor dem eigenen Volk habe, sagt Voegeli. «Darum tut sich das Land so schwer mit Neuwahlen.»