In Wuxi, eine Stunde mit dem Schnellzug von Schanghai entfernt, schneit es praktisch nie. Trotzdem fährt Lily Li hier Snowboard: in einer Skihalle. «Wenn man in Südchina lebt und auf diese Weise aktiv sein möchte», sagt die Marketingassistentin, «gibt es nicht viele Alternativen.»
Die Chinesin steht heute zum vierten Mal auf dem Snowboard. Sie ist noch nie in den Bergen gefahren: «In der Halle ist der Start einfacher. Draussen ist es sehr gefährlich.»
China ist eine junge Wintersportnation. Viele Chinesinnen und Chinesen sind wie Lily Li Ski- und Snowboardfahren erst am Entdecken. Eine zunehmend wichtige Rolle spielen dabei Indoor-Anlagen.
China ist der weltweit grösste Markt für Indoor-Skifahren
Die meisten Skihallen in China stehen wie jene in Wuxi in einer Grossstadt. Oft sind sie das ganze Jahr über geöffnet und sind kombiniert mit einer Shopping-Mall. Von den Ski bis zum Skidress kann man alles vor Ort mieten. Der Eintritt inklusive Ausrüstung kostet je nach Hallengrösse zwischen 40 und 80 Franken.
Die Halle in Wuxi eröffnete vor drei Jahren. Im abgelaufenen Jahr erzielte sie gemäss der Betreiberin Sunac bereits 300'000 Eintritte. Das Geschäft mit Indoor-Skifahren wächst chinaweit rasant. 2013 gab es erst 5 Skihallen. Heute sind es deren 36.
Die Zahlen erhoben hat Berater Benny Wu. Er publiziert jährlich ein Weissbuch zur chinesischen Skiindustrie: «China ist heute der weltgrösste Markt für Indoor-Skifahren.» Kein anderes Land hat mehr Skihallen als China.
Der Skihallen-Boom nimmt noch lange kein Ende. Gemäss Benny Wu befinden sich aktuell rund 20 weitere Hallen im Bau: «Es ist sehr wahrscheinlich, dass es in China innerhalb von 2 bis 3 Jahren mehr als 50 Skihallen geben wird.» Die weltweit grösste Skihalle mit einer Fläche von 90'000 Quadratmetern soll Ende 2022 in Schanghai eröffnen.
Peking will 300 Millionen Chinesinnen und Chinesen für Wintersport begeistern
Das Indoor-Skifieber ist dabei von ganz oben verordnet. 2015, als China den Zuschlag für die Olympischen Winterspiele erhielt, hat sich Präsident Xi Jinping ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Bis zu den Spielen im Februar 2022 sollen 300 Millionen Chinesinnen und Chinesen mit Wintersport in Berührung kommen – rund ein Viertel der Bevölkerung.
Mit der Regierungskampagne «300 Millionen Eis- und Schneesportler» sind alle Provinzen im Land angehalten, den Wintersport zu fördern.
Für diesen Traum investierte das Land Milliarden an Franken in den Wintersport. «Viele Städte in China haben keine Berge und damit keine Möglichkeit für Outdoor-Skigebiete», sagt Benny Wu. «Aber mit der Regierungskampagne «300 Millionen Eis- und Schneesportler» sind alle Provinzen im Land angehalten, den Wintersport zu fördern.» Sprich, jene Städte, die keine Outdoor-Möglichkeiten haben, setzen auf Indoor-Schneesport.
Nebst Skihallen floriert auch das Geschäft mit Skisimulatoren
Vom staatlich angeordneten Wintersportenthusiasmus profitiert auch Snow51. Das chinesisch-österreichische Start-up hat sich auf Indoor-Skitraining auf Teppichsimulatoren spezialisiert. 2017 gegründet, betreibt Snow51 bereits 20 Läden in China. Allein im Januar sollen zwei weitere eröffnen.
Der Simulator ist nichts anderes als ein vier Meter breites Teppichrollband. Steigung und Geschwindigkeit lassen sich je nach Schwierigkeitsgrad anpassen. Damit die Reibung auf dem Teppich nicht zu gross ist, muss er ständig befeuchtet werden.
Das ist laut Bernhard Ratschiller, technischer Leiter von Snow51, auch der grösste Unterschied zum Fahren auf Schnee: «Man hat immer dieses Gefühl eines Widerstandes. Diesen Widerstand spürt man aber nicht, wenn man in den Schnee geht, dann rutscht man einfach.»
Das Hauptziel ist, dass die Kundinnen und Kunden von Beginn weg den Berg runterfahren können und nicht Stunden im Anfängerbereich verschwenden.
Trotzdem würden sich seine Schülerinnen und Schüler rasch umgewöhnen. «Das Hauptziel ist», so Bernhard Ratschiller, «dass die Kundinnen und Kunden von Beginn weg den Berg runterfahren können und nicht Stunden im Anfängerbereich verschwenden.»
«Skihallen produzieren Skifahrer wie eine Fabrik»
Beim Indoor-Skiboom in China geht es aber um weit mehr als Freizeitvergnügen für Städter und Anfängerinnen. Die gesamte Skiindustrie in China soll profitieren, erklärt Zahlenexperte Benny Wu: «Skihallen kultivieren 365 Tage im Jahr neue Schneesportlerinnen. Sie produzieren konstant Skifahrer wie eine Fabrik.» Auf sie warten in China 679 Outdoor-Skigebiete.
Der Wintertourismus wird in China zunehmend ein Wirtschaftsfaktor. Benny Wu rechnet bei einem weiterhin so konstant wachsendem Markt damit, dass das Land bald die Top-Märkte einholen wird: «Das könnte vielleicht in etwa zehn Jahren der Fall sein.»
Die USA, Frankreich und Österreich generierten vor Ausbruch der Pandemie pro Saison rund 50 Millionen Tageseintritte. Zum Vergleich: Inklusive Indoor-Skifahren kommt China aktuell auf knapp 21 Millionen Eintritte.
Auch wenn in China mittlerweile Millionen an Leuten Ski und Snowboard fahren, ist der Weg zur Skination noch weit. «Das ist eine Sportart und nicht eine Technologie, die man einfach übernehmen kann», erklärt Bernhard Ratschiller.
«Wir haben den Schneesport in Europa oder den USA über die letzten 60 bis 100 Jahre aufgebaut. Um dies in einer Nation zu etablieren, braucht es Zeit. Generationen müssen damit aufwachsen.» Er schätzt, dass China frühestens in zwanzig Jahren so weit sei.
Wenn ich super erfahren bin, gehe ich definitiv ins Freie.
Indoor-Snowboarderin Liliy Li hat das Schneesportfieber auf jeden Fall gepackt: «Ich mag das Gefühl, wie sich der Körper bewegt.» Mit der ersten Abfahrt draussen am Berg will sie sich allerdings Zeit lassen: «Wenn ich super erfahren bin, gehe ich definitiv ins Freie. Aber vorher brauche ich noch mehr Übung.»