Es ist einer der grössten Medizinskandale in der Geschichte Brasiliens: Covid-Patientinnen und Patienten starben, nachdem Ärzte zweifelhafte Medikamenten-Cocktails an ihnen ausprobiert hatten: Malariamittel, Medikamente gegen Würmer und Läuse oder Therapien gegen Prostatakrebs. Laut den Ärzten sei es das Ziel gewesen, ein Medikament gegen Covid-19 zu finden. Nun ermittelt ein Untersuchungsausschuss und prüft die umstrittenen Medikamententests.
Unwirksame Medikamente im Covid-Kit
Es war am Heiligabend vor einem Jahr. Der 65-jährige Tadeu Frederico de Andrade spürte die ersten Corona-Symptome. Seine Krankenversicherung schickte ihm noch am selben Tag das Covid-Kit. So heisst der Medikamenten-Cocktail, den viele Spitäler in Brasilien auf Druck der Regierung Covid-Patientinnen und Patienten verschreiben. Im Paket befand sich ein Medikament gegen Malaria, ein Mittel gegen Würmer und Läuse sowie Antibiotika. Gemäss Studien wirkt keines der Mittel gegen Covid.
Tadeu Frederico de Andrade schluckte die Medikamente fünf Tage lang. Danach funktionierte seine Lunge nur noch zu 50 Prozent, er hatte eine bakterielle Lungenentzündung und lag in der Folge auf der Intensivstation. Im brasilianischen Fernsehen sagte er: «Zum Glück hat mich meine Tochter aus dem Krankenhaus geholt. Wie viele Menschen sind gestorben, weil an ihnen mit wirkungslosen Medikamenten herumgedoktert wurde? Wie viele sind tot, weil ihre Angehörigen auf Druck der Ärzte der Abschiebung auf die Palliativstation zustimmten?»
Besonders perfid: Wenn sich der Gesundheitszustand der Kranken aufgrund nutzloser Medikamenten verschlechterte, seien viele nur noch palliativ behandelt worden. So lautet der Vorwurf eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses im Stadtparlament von São Paulo. Nach und nach seien alle Apparate abgeschaltet worden, meist starben die Kranken innerhalb von wenigen Tagen.
Dieser Untersuchungsausschuss ermittelt nun gegen Prevent Senior. Der neuntgrössten private Krankenversicherung Brasiliens gehören zehn Krankenhäuser. Zuvor hatte bereits ein nationaler Untersuchungsausschuss im Senat dieser Firma «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» vorgeworfen.
Gegen Bolsonaro wird ermittelt
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro empfiehlt seit Beginn der Pandemie die Anwendung von erwiesenermassen unwirksamen Medikamenten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits gegen Bolsonaro wegen solcher Aussagen. Die Krankenversicherung Prevent Senior verteidigt sich, sie hätten nie Tests von Medikamenten ohne die Zustimmung der Patienten und Familienangehörigen vorgenommen.
Der Direktor Pedro Batista nahm schon vor zwei Monaten vor dem brasilianischen Senat Stellung: «Als wir die Untersuchungen gemacht haben, bekamen alle Patienten eine schriftliche Erklärung, und wir haben alle unterschriebenen Einverständniserklärungen.»
Anhänger von Präsident Bolsonaro sehen hinter dem Medikamenten-Skandal einen weiteren Versuch, seine Politik schlecht zu machen. Der Untersuchungsausschuss, welcher in dieser Sache seit kurzem ermittelt, ist tatsächlich ein rein politisches Instrument, installiert von der Opposition. Denn selbst wenn die Vorwürfe im Abschlussbericht bestehen bleiben, hat dies erst einmal keinerlei juristische Konsequenzen.
Ob die Staatsanwaltschaft von São Paulo die Ermittlung aufnimmt, ist noch offen. Sie müsste dafür genug Anhaltspunkte für ein Verbrechen sehen und auch politisch gewillt sein, die umstrittenen Medikamententests zu prüfen.