Was sich gestern im Weissen Haus zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem ukrainischen Amtskollegen Wolodimir Selenski abgespielt hat, ist höchst ungewöhnlich und irritierend zugleich. Bei solchen Spitzentreffen werden üblicherweise am Anfang lediglich ein paar Höflichkeiten ausgetauscht, solange die Reporter und Kameras noch im Raum sind. Da spürt man dann jeweils allenfalls, ob die Stimmung positiv oder angespannt ist.
Zum Inhalt kommt man jedoch stets erst dann, wenn die Kameras weg und die Türen zu sind. Und anschliessend, falls man sich einig ist, gibt es in der Regel eine Pressekonferenz. Insofern ist es schon bemerkenswert, dass dieser Streit vor der Weltöffentlichkeit ausgetragen wurde.
Der Verdacht
War das einfach Unprofessionalität im Weissen Haus? Oder hat man das ganz bewusst so inszeniert. Wohl weil man glaubte, der ukrainische Präsident werde zu Kreuze kriechen. Und man hat nicht damit gerechnet, dass der sich nicht so leicht unterkriegen lässt und sich wehren würde? Was genau hinter dieser Frontalkollision steckte, wird man wohl in den nächsten Tagen erfahren.
Offenkundig ist indes: Viel Geschirr zwischen den USA einerseits und Europa und der Ukraine andrerseits wurde bereits in den vergangenen Wochen zerschlagen. Jetzt ist es noch deutlich mehr. Und möglicherweise gar irreparabel.
Sündenbock gefunden?
Denkbar ist, dass die Trump-Regierung merkt, dass es eine schnelle Einigung mit Russland ohnehin nicht geben wird, trotz aller Zugeständnisse an den Kreml. Immer deutlicher wird auch, dass sie keine wirklich durchdachte Strategie besitzt. Und deshalb sucht man nun für das Scheitern bereits einen Sündenbock – und da bietet sich die Ukraine an.
Zudem wird immer offenkundiger, dass Washington, und zwar Donald Trump selber, vor allem aber auch sein Vize James D. Vance den Bruch mit Europa nicht nur in Kauf nimmt, sondern ganz bewusst provoziert.