Xi Jinping hat einen Traum. Der Traum heisst «Wiederbelebung der chinesischen Nation». Der chinesische Präsident will aus China wieder das Reich der Mitte machen, wohlhabend und mächtig. Konkret soll das Land bis zum 100-Jahr-Jubiläum der Volksrepublik 2049 die dominierende Weltmacht sein: wirtschaftlich, politisch und militärisch.
Noch vor wenigen Jahrzehnten galt China als das Armenhaus der Welt. Heute ist es die zweitstärkste Volkswirtschaft der Welt. Und in den letzten zehn Jahren unter Xi Jinping machte das Land weitere Riesenschritte nach vorn.
Vorherrschaft auf See, im All und an den Märkten
Das Land investierte Milliarden in neue Technologien und ist heute in Bereichen wie Künstliche Intelligenz, Big Data oder E-Commerce führend. Statt nur zu kopieren, hat China heute ein Eigeninteresse, geistiges Eigentum besser zu schützen. Und schliesslich gab die Regierung letztes Jahr bekannt, die Armut im Land sei ausgerottet.
Aber auch militärisch schloss China zu den USA auf. Die chinesische Marine hat inzwischen mehr Kriegsschiffe als die US-Armee. Und dieses Jahr lief bereits der dritte eigene Flugzeugträger vom Stapel. Weitere sind geplant. Die Amerikaner haben deren elf.
Unter Xi Jinping stieg China auch zu einer Weltraummacht auf. China gelang die erste Landung auf der Rückseite des Mondes, schickte eine Sonde zum Mars und baut zurzeit seine eigene Raumstation.
Bevölkerung unterstützt den Kurs des Präsidenten
Noch am letzten Parteikongress vor fünf Jahren wähnte sich Xi Jinping auf der Zielgeraden und verkündete: «Genossen, heute sind wir näher, zuversichtlicher und fähiger als je zuvor, das Ziel der nationalen Wiederbelebung zu erreichen.»
Auch in der Bevölkerung kommt sein chinesischer Traum gut an. Er deckt sich mit dem Bedürfnis vieler Chinesinnen und Chinesen. «In der Vergangenheit waren wir ziemlich lange sehr arm», erzählt Rentner Ru Yonghua. «Jetzt werden wir ein bisschen reich. Unser Leben hat sich verbessert.»
Früher waren waren wir arm, jetzt werden wir ein bisschen reich.
Doch dann kam Covid und hat diesen chinesischen Traum jäh unterbrochen. Seit Ausbruch der Pandemie setzt die Regierung unter Xi Jinping auf eine knallharte Nulltoleranzpolitik. Offiziell hat kein Land die Pandemie besser im Griff als China. Die Kehrseite davon: Selbst wenige Covid-Fälle können ganze Quartiere, Städte und Provinzen in den Lockdown schicken. Die Folge ist eine grosse Unsicherheit. Transport- und Lieferketten werden ständig unterbrochen, Investitionen bleiben aus und die Jugendarbeitslosigkeit steigt.
Abkehr von Null-Covid-Strategie nicht absehbar
Was dies für die Wirtschaft bedeutet, zeigt sich im Kleinen in einem Quartier in Schanghai. Es ist bekannt für seine vielen Restaurants. Wegen zwei positiver Fälle wurde alles für sieben Tage abgeriegelt. Das trifft auch die umliegenden Geschäfte, die normal geöffnet haben.
«Die Leute haben Angst, in diese Gegend zu kommen. Sie wissen nicht, was vor sich geht», erzählt ein Ladenbesitzer. Er hofft, dass der Lockdown rasch vorbei ist. Denn seinem Geschäft gehe es so schlecht wie nie seit dem Pandemieausbruch vor zweieinhalb Jahren.
Ein Kurswechsel ist nicht absehbar. Xi Jinping steckt in der Covid-Frage in einer Sackgasse fest. Lange Zeit hat sich Chinas Führung für ihre Null-Covid-Strategie selbst gefeiert. Xi Jinping sieht darin eine Überlegenheit des chinesischen Systems.
Erklärt er die Strategie nun für gescheitert, verliert er das Gesicht. Sein Ansehen als unfehlbarer Herrscher leidet. Führt er die Nulltoleranzpolitik fort, gerät die Wirtschaft nur noch mehr unter Druck. Und die bereits bestehenden strukturellen wirtschaftlichen Probleme verschlimmern sich zusätzlich.
Xi greift im In- und Ausland hart durch
Doch um seinen chinesischen Traum zu verwirklichen, sind Xi Jinping alle Mittel recht. Kritik toleriert er keine. Unter ihm haben Überwachung und Kontrolle stark zugenommen. Das Internet und die sozialen Netzwerke werden so rigoros zensiert wie nie zuvor.
Zudem hat Xi Jinpings harter Kurs das Land zunehmend international isoliert. Mit der Zerschlagung der Demokratiebewegung in Hongkong, seinen Drohgebärden gegenüber Taiwan und den Menschenrechtsverletzungen in Xinjiang ging er auf Konfrontationskurs mit dem Westen. Statt eine angesehene Weltmacht auf Augenhöhe ist China ein Aussenseiter.
Einer dritten Amtszeit steht nichts im Weg
Trotz der vielen Probleme dürfte sich Xi Jinping am kommenden Kongress eine in der Geschichte der Partei einmalige dritte Amtszeit als Generalsekretär der Partei und damit auch als Staatschef sichern.
Ursprünglich galt eine Amtszeitbeschränkung: Nach zwei Mal fünf Jahren war Schluss. Doch Xi Jinping hat die Verfassung geändert und kann sich nun theoretisch bis an sein Lebensende an der Spitze halten.
Eine Alternative zu Xi Jinping gibt es nicht. Er hat sämtliche potenziellen politischen Gegner aus dem Weg geräumt. Und die Bevölkerung hat bei den Entscheidungen der Partei sowieso kein Mitspracherecht.
Xi Jinping wird seinen harten innen- und aussenpolitischen Kurs auch in Zukunft fortsetzen. Selbst wenn damit sein Traum, die dominierende Weltmacht zu sein, in die Ferne rückt.