Es sind keine einfachen Gespräche, die man vor den jeweiligen Sammelpunkten für russische Zeitsoldaten zu führen versucht. Wir waren dafür in St. Petersburg und in Moskau. Fragesteller aus dem Westen sind in diesen Kreisen inzwischen manchem suspekt. «Was war doch die Schweiz für ein Land – bis ihr eure Neutralität aufgegeben habt», liess mich einer trotzig wissen.
Lukratives Entgelt
Wenn man dann doch ins Gespräch kommt, steht ein heikles Thema im Raum. Melden sich die Freiwilligen des Geldes wegen für den Kriegsdienst? Das wäre immerhin nachvollziehbar. Sind doch die versprochenen Zahlungen teilweise um ein Mehrfaches über dem, was die Männer in ihren angestammten Berufen verdienen.
Knapp 2500 Franken gibt’s gleich bei Vertragsabschluss auf die Hand. Dann jeden Monat eine ähnliche oder etwas höhere Summe – je nach Dienstgrad. Zusätzlich gibt es noch Bonussystem: 100 Franken für jeden Tag, an dem man bei einer Angriffsaktion beteiligt war und um die 500 Franken für erbeutete oder zerstörte ukrainische Militärtechnik.
«Russische Erde» verteidigen
Allerdings: Keiner der von uns befragten Soldaten (rund ein Dutzend) hat das Geld als entscheidende Motivation angegeben. Die Rede war eher davon, die «russische Erde» verteidigen zu wollen, das «russische Kiew» zurückzuholen oder dem Vorbild der Grossväter zu folgen, die damals schon gegen den «Faschismus» gekämpft hätten. Hier Diskussionen zu führen, dass derzeit eine demokratisch gewählte Regierung in Kiew an der Macht ist oder dass Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt, bringt nichts. Man redet aneinander vorbei.
Sergej, ein Bauvorarbeiter aus der Moskauer Region mit drei minderjährigen Kindern daheim, erklärt seine Motivation am Schluss so: «Ich kann es auch nicht erklären. Aber es zieht mich einfach dort hin.»
Weitere Teilmobilmachung soll verhindert werden
Eine Frau, die neben ihrem Mann steht, der gerade als Zeitsoldat unterschrieben hat, will nicht gefilmt werden. Aber als wir weggehen, läuft sie mir nach, hält mich am Arm und meint: «Ich bin völlig dagegen, dass er geht. Ich bin gegen das alles hier.» Gräben, die mitten durch Gesellschaft und Familien ziehen.
Ich bin völlig dagegen, dass er geht. Ich bin gegen das alles hier.
Mit Plakaten an Strassen oder im öffentlichen Verkehr, aber auch mit Flyern an Konzerten und in Stadien, versucht die russische Regierung derzeit, Zeitsoldaten für die Front zu gewinnen. Der Hintergrund: Man will eine weitere, im Volk wenig populäre Teilmobilmachung verhindern. Laut Dmitri Medwedew, derzeit Vizechef des Sicherheitsrates, haben bis jetzt über hunderttausend Freiwillige unterschrieben.
Allerdings: Grosse Begeisterung herrscht in Russland nicht für diesen Krieg. Hunderttausende haben das Land verlassen oder verstecken sich im Lande selber vor einer allfälligen Einberufung. «Wenn wir wirklich angegriffen würden, dann wäre ich auch in der Armee. Aber das hier ist doch ein künstlich geschaffener Krieg», sagt uns ein junger Mann in St. Petersburg.