Wenn ein Staat Schulden hat, werden darauf Zinsen fällig – und wenn ein Staat diese nicht zahlen kann, gilt er als zahlungsunfähig, mit oft dramatischen Folgen. Ein solcher Fall droht nun auch Russland, zumindest auf dem Papier: Dieses Wochenende läuft eine 30-Tage-Periode ab, innerhalb der Russland säumige Zinszahlungen noch leisten kann, ohne einen Zahlungsausfall auszulösen. In der Realität ist die Lage jedoch weitaus komplizierter. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Wann ist ein Staat zahlungsunfähig?
Grundsätzlich gilt ein Staat als zahlungsunfähig, wenn er seine Schulden nicht mehr bedienen kann, also Probleme mit der Zinszahlung oder der Schuldentilgung hat. Normalerweise treten solche Probleme auf, wenn Staaten über ihre Verhältnisse Geld ausgegeben haben, überschuldet sind oder aus sonstigen Gründen an Kreditwürdigkeit eingebüsst und ein Liquiditätsproblem haben. Beispiele sind die früheren Staatspleiten Argentiniens oder die Finanzprobleme Griechenlands während der Euro-Krise ab 2010.
Was ist besonders am russischen Fall?
Russland ist aufgrund seiner Finanzlage eigentlich kein Fall für eine Staatspleite. Das Land verfügt über erhebliche finanzielle Mittel im In- und Ausland. Haupteinnahmequelle sind die grossen Mengen an Rohstoffen, die Russland über die Jahre ins Ausland verkauft hat. Im Gegenzug hat das Land Devisen erhalten, also ausländische Währungen. Ausserdem ist Russland im internationalen Vergleich nicht hoch verschuldet: Die Schuldenquote liegt deutlich niedriger als in vielen westlichen Industrieländern.
Warum hat Russland Probleme, seine Staatsschulden zu bedienen?
Wichtigster Grund sind die scharfen Finanzsanktionen, die überwiegend westliche Länder wegen des Kriegs gegen die Ukraine verhängt haben. Die Sanktionen schliessen Russland und seine Banken faktisch vom Finanzsystem aus, das von westlichen Staaten dominiert wird. Ein erheblicher Teil der im Ausland lagernden Finanzreserven Russlands ist ausserdem durch Sanktionen blockiert.
US-Banken ist es inzwischen verboten, Zahlungen des russischen Staates an ihre Kunden weiterzuleiten. Diese Beschränkungen machen es Russland nahezu unmöglich, seine Gläubiger im Ausland zu bezahlen – obwohl die finanziellen Mittel eigentlich vorhanden wären.
Was tut Russland dagegen?
Fällige Zinsen auf Staatsanleihen zahlt Russland weiter – allerdings nicht in Dollar oder Euro, sondern in Rubel. Dafür hat das Land ein neues Verfahren über seine Zahlungsstelle NSD eingerichtet. Das Problem ist jedoch, dass die Zahlungen von dort aus wegen der Sanktionen kaum an westliche Zahlungsstellen und damit an die westlichen Gläubiger weitergeleitet werden können. Und: Eigentlich sind Zinszahlungen bei Auslandsschulden in der Regel in US-Dollar oder Euro vorgesehen. Fachleute halten die Zahlung in der russischen Landeswährung für unzulässig.
Was wären die Folgen einer Zahlungsunfähigkeit für Russland?
Da der Zahlungsausfall nicht mit akutem Geldmangel der russischen Regierung zu tun hat, sind die direkten Folgen erst einmal gering. Es ist nicht mit etwa einem Kollaps des Bankensystems zu rechnen. Wird der Ausfall festgestellt, könnten Gläubiger von Russland aber die Rückzahlung aller Schulden verlangen – auch derer, die eigentlich noch nicht fällig sind.
Langfristig könnte die Situation problematisch sein. Neue Anleihen kann Russland nicht aufnehmen. Die Isolierung Moskaus vom globalen Finanzmarkt wird gefestigt. Möglicherweise ist auch das Eigentum russischer Staatsunternehmen im Ausland bedroht, beispielsweise von Gazprom.