Worum geht es? Am vergangenen Mittwoch ist eine Ausnahmebewilligung der US-Regierung ausgelaufen, die es dem russischen Staat trotz der wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängten Sanktionen ermöglichte, Zinsen an ausländische Investoren über ausgewählt US-Banken in Dollar zu bezahlen. «Das war ein letztes Schlupfloch – doch jetzt gibt es für Russland keinen Weg mehr, Zinsen auf Konti von ausländischen Gläubigern zu bringen», sagt SRF-Wirtschaftsredaktorin Charlotte Jacquemart. Wenn die Gläubiger die fälligen Zinsen nicht erhalten, gilt das als Zahlungsausfall, formal ist der Schuldner zahlungsunfähig.
Jetzt gibt es kein Schlupfloch mehr.
Was tut Russland? Moskau hatte schon letzte Woche rund 100 Millionen Dollar für Zinsen bezahlt, die eigentlich erst jetzt fällig gewesen wären. So konnte Russland den Zahlungsausfall vorerst noch einmal umgehen. «Doch seit Mittwoch ist Russland zu 100 Prozent vom westlichen Finanzsystem abgeschnitten», stellt Jacquemart fest. Die nächsten Zahlungen sind am 22./23. Juni fällig, dann geht es um rund 400 Millionen Dollar. Moskau will das Geld nach eigenen Aussagen in Rubel bei der russischen Clearingstelle deponieren und den Vorgang keineswegs als Zahlungsausfall betrachten.
Seit Mittwoch ist Russland zu 100 Prozent vom westlichen Finanzsystem abgeschnitten.
Was bedeutet diese Situation? Nicht Russland selber entscheidet, ob es zahlungsunfähig ist, sondern internationale Gremien und Gerichte. Und normalerweise gilt: Wenn mehr als 25 Prozent der Gläubiger die Zinsen nicht rechtzeitig erhalten, gilt ein Land als zahlungsunfähig. Die Gläubiger können in einem solchen Fall das ausstehende Geld vor einem Gericht einfordern.
Was heisst das für Russland? Ein Zahlungsausfall führt dazu, dass ein Land für längere Zeit vom internationalen Kapitalmarkt abgekoppelt wird. Selbst wenn also der Krieg in der Ukraine plötzlich doch beendet würde, bliebe dies so. Vor allem russische Unternehmen brauchen Geld aus dem Ausland – sie haben dort insgesamt viel höhere Beträge ausstehend als der russische Staat. Wenn aber der Staat als zahlungsunfähig gilt, werden die ausländischen Kredite für die russischen Unternehmen viel teurer.
Wie geht es weiter? Wenn es ab 22./23. Juni tatsächlich zu sogenannt technischen Zahlungsausfällen kommt, drohen lange gerichtliche Auseinandersetzungen mit den Gläubigern. Russland dürfte dann argumentieren, man habe eigentlich ja genug Geld, dürfe dieses aber nicht bezahlen. Der Westen habe die Zahlungsunfähigkeit Russlands also selber verursacht. Allerdings: «Den ersten Stein hat Russland geworfen – mit dem Einmarsch in die Ukraine», betont Wirtschaftsredaktorin Jacquemart.